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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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wusste, dass er sie mochte. Bei ihrem ersten Gespräch war sie von seinem Interesse geschmeichelt gewesen. Aber seit er wusste, wer sie war, fühlte sie sich jedes Mal unwohl, wenn sie an ihn dachte. Als wäre er nun auch zu einem Teil ihrer düsteren Vergangenheit geworden.
    Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Es hatte ohnehin keinen Sinn, sich über ihn den Kopf zu zerbrechen. Sie zog zurück nach Cornwall. Aus ihnen würde kein Paar werden, selbst wenn sie das gewollt hätte.
    Als sie eines Nachmittags aus der Schule kam, lagen mehrere Briefe auf der Fußmatte. Während sie die Post aufhob, blieb ihr Blick am Kleiderständer hängen. Er war völlig leer und sah sonderbar aus. In ihren ersten Wochen hier im Haus war er über und über mit Jacken und Mänteln behängt gewesen. Donnys Winterjacke und sein Wollmantel, Jessicas Daunenjacke, Laurens Parka und ihr Mantel. Manchmal war der Ständer so voll gewesen, dass sich kein freier Haken mehr finden ließ. Nach einigen Wochen waren die dicken Jacken durch leichtere ersetzt worden. Und jetzt hing gar nichts mehr daran, nicht mal ein Regenschirm. Er schien einsam und verlassen. Sogar Laurens Jeansjacke lag oben auf ihrem Bett. Der Kleiderständer war dünn und nackt, wie ein Baum, der seine Blätter verloren hat.
    Sie legte die Briefe ab und ging ins Wohnzimmer. Hier herrschte ein einziges Chaos. Donny hätte sich furchtbar aufgeregt. Er wäre im Zimmer hin und her gerannt und hätte die Sachen aufgesammelt, erst das Geschirr in die Küche gebracht, dann den Müll in eine Tüte gesteckt und schließlich Kissen und Zeitungen an ihren Platz gelegt. Sogar Jessica hätte die Nase gerümpft und aufgeräumt. Aber Lauren hatte einfach nicht die nötige Energie. Sie ließ sich aufs Sofa fallen und starrte den Fernseher an. Noch zwei Wochen, bis sie zurück nach St. Agnes fuhr. Sie erschienen ihr wie zwei Monate.
    Sie erzählte Julie, dass sie gerade sturmfrei hatte. Sie saßen nebeneinander im Kunstraum, wo Julie an den letzten Skizzen für ihre Skulptur arbeitete. Es war nicht unbedingt ein warmer Tag, doch Julie trug ein trägerloses Top. Man sah ihre runden weißen Schultern und den kleinen Vogel, den sie auf den Oberarm tätowiert hatte. Sie hatte ein schwarzes Band im Haar, dessen Enden ihr über den Rücken hingen.
    »Du kannst bei mir bleiben. Wir haben jede Menge Platz«, sagte sie und musterte wieder einmal Laurens schlabberige Kleidung.
    »Ich bin gerne allein.«
    »Aber du könntest mal bei mir übernachten! Oder noch besser, Ryan und ich kommen zu dir. Wie wäre es Samstag? Wir gönnen uns ein paar Cocktails.«
    Aus Ryan und Julie war tatsächlich ein Paar geworden. In den Pausen klebten sie jetzt immer aneinander.
    »Das ist das letzte Wochenende vor den Prüfungen«, wandte Lauren ein.
    »Na und? Wir müssen uns mal ein bisschen entspannen. Es ist gar nicht gut, bis zur letzten Minute zu lernen. Hey! Wir könnten Ryans Kumpel mitbringen, Dexy. Er ist echt nett.«
    » Dexy ?«
    »Er heißt eigentlich Laurence Dexter. Aber Dexy ist ihm lieber.«
    »Ich weiß nicht.«
    Lauren hatte keine Ahnung, wie sie sich so einen Abend vorzustellen hatte.
    »Ich verstehe! Du bist mit diesem Typen zusammen. Mit Nathan«, sagte Julie.
    »Bin ich nicht!«
    »Hast du schon mit ihm geschlafen?«
    Lauren stand der Mund offen.
    »Jetzt guck nicht so. Darum geht es doch in einer Beziehung.«
    »Nicht nur! Es geht auch um andere Dinge. Freundschaft, Vertrauen, Loyalität …«
    Julie öffnete den Mund zu einem künstlichen Gähnen.
    »Du bist also nicht mit ihm zusammen.«
    Lauren antwortete nicht.
    »Wir kommen zu dir, ich bringe Wodka mit. Samstag, gegen neun. Du wirst Dexy mögen. An Ryan kommt er natürlich nicht ran, aber er ist wirklich in Ordnung …«
    Lauren widersprach nicht. Es war immer einfacher, Julie ihren Willen zu lassen.
    Als sie am Donnerstag nach Hause kam, lagen zwei Briefe auf der Fußmatte. Der eine war eine Werbesendung. Der andere war an sie adressiert. Miss Lauren Ashe . Der Umschlag war dick und sah edel aus, und in der linken oberen Ecke stand der Name des Absenders, Barrat & Morris Anwaltskanzlei . Ein ungutes Gefühl überkam sie. Solche Briefe hatten immer nur einen Anlass. Sie riss den weißen Umschlag auf. Auf die Worte Liebe Miss Ashe folgte der Name ihres Vaters. Robert Slater .
    Es war ein Schreiben von den Anwälten ihres Vaters.
    Warum ließ er sie nicht endlich in Ruhe?

12
    Sie kochte sich Nudeln und machte Tomatensoße heiß. Sie setzte sich

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