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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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wiederzusehen, wenn dieses furchtbare Durcheinander endlich vorbei ist. Vergiss nicht, dass dein alter Papa immer an dich denkt.
    Ich bin dir nicht böse wegen dem, was du im Gericht gesagt hast. Du hast die Wahrheit gesagt. Ich verstehe das. Wenn du älter bist, wirst du merken, dass die Dinge, die wir sehen, nicht immer so sind, wie sie scheinen.
    Ich habe dich lieb und drücke dich fest.
    Fröhliche Weihnachten!
    Papa
    Sie spürte, wie sich ihr Hals verkrampfte. Ich bin dir nicht böse. Warum wiederholte er das immer wieder? Wie könnte er ihr böse sein?
    Sie stand auf und drehte sich um. Sie machte das Licht in der Küche aus und ging nach oben unter die Dusche. Danach versuchte sie noch eine Weile, sich aufs Lernen zu konzentrieren, dann ging sie ins Bett.
    Sie wachte früh auf. Fahles Licht kroch durch die Ritzen der Jalousie. Sie sah auf die Uhr. 05:19. Sie überlegte, ob sie schon aufstehen und noch etwas lesen oder sich auf die Klausur vorbereiten sollte. Sie setzte sich im Bett auf. Sie hatte den ganzen Abend mit den Briefen ihres Vaters verschwendet. Sie sollte noch etwas lernen. Sie wollte gerade die Decke zurückwerfen und aufstehen, als sie plötzlich von Müdigkeit überflutet wurde. Sie lehnte sich zurück und starrte an die Decke. Ihre Augen waren geöffnet, aber ihre Gedanken waren weit fort, in einem anderen Bett, in einem anderen Haus, zehn Jahre zuvor.

    Es war noch früh, als Lauren an diesem Morgen aufwachte. Sie hatte sich daran gewöhnt, in dem großen Bett ihrer Mutter zu schlafen. Der Bettbezug war weich und seidig, und sie spürte ihn gerne auf ihrer Haut. Außerdem gab es so viel Platz. Obwohl ihre Mutter neben ihr schlief, hatte sie das Gefühl, sie könnte Arme und Beine ausstrecken, ohne irgendwo anzustoßen. Das Einzige, was sie nicht mochte, war, dass sie die ganze Zeit leise sein musste, damit Daisy nicht aufwacht . Daisy, die tagsüber schlafen konnte, wenn neben ihr der Fernseher dröhnte, bekam übersinnliche Fähigkeiten, sobald es Nacht wurde. Ein winziges Flüstern konnte sie aus dem Schlaf reißen. Also behielt Lauren ihre Gedanken für sich. Wenn sie früh aufwachte, stand sie leise auf, schlich zum Puppenhaus und schaute durch die Fenster die winzigen Figuren an. Es war nicht möglich, das Haus zu öffnen, ohne dabei ein Geräusch zu machen, also saß sie nur davor und malte sich aus, was gerade im Haus passierte.
    Doch an diesem Morgen war sie zu müde, um aufzustehen.
    Vielleicht lag es daran, dass es ihr nicht gut ging. Sie war benommen. Sie fühlte sich, als wäre sie zur Hälfte wach, während die andere Hälfte noch schlief. Ihre Augen fühlten sich schwer und verklebt an, als könnte sie sie nicht öffnen, selbst wenn sie wollte. Sie versuchte, den Arm zu bewegen, aber er war so unglaublich schwer. Sie hatte das Gefühl, ihre Mutter wäre schon aufgestanden. Aber da war etwas neben ihr. Und das Bett roch anders. Nach Baby. Daisy lag neben ihr im Bett, nicht ihre Mutter. Sie atmete ruhig ein und aus und dachte darüber nach. Warum lag Daisy hier und nicht in ihrem Bettchen?
    Sie hörte ein Geräusch von der Straße. Eine Autotür schlug zu. Dann war es wieder still. Aber als sie angestrengt lauschte, stellte sie fest, dass Vögel zwitscherten. Viele Vögel, die sich gegenseitig übertönten. Sie klangen fröhlich und geschäftig, als hätten sie jede Menge zu tun und freuten sich auf den Tag.
    Sie versuchte die Augen zu öffnen, aber um sie her blieb es dunkel. Dann merkte sie, dass ein Kissen über ihrem Kopf lag. Sie streckte langsam den Arm aus und schob es zur Seite. Es wurde hell und sie merkte, dass sie auf dem Rücken lag und zur Decke schaute. Sie drehte den Kopf und sah Daisy auf der anderen Seite im Bett liegen. Komisch, eins der Kopfkissen lag über ihrem Gesicht. Lauren wusste, dass sie es wegnehmen sollte, aber es war so anstrengend und sie war so müde. Es fühlte sich an, als wäre es mitten in der Nacht, und doch war der Raum in helles Tageslicht getaucht.
    Sie fragte sich, wo ihre Mutter wohl war.
    Von unten hörte sie ein Geräusch. Schritte, die durch das Haus wanderten, jeder Schritt hallte auf den Dielenbrettern. Es klang, als wäre jemand wütend und in Eile. Dann war es eine Weile still und sie versank wieder im Halbschlaf.
    Sie öffnete wieder die Augen. Die Schritte kamen nach oben. Irgendetwas daran machte sie unruhig. Sie bewegte die Hand an die Stelle, an der ihre Mutter sonst immer lag. Sie war kalt und leer. Wenn sie ihren Arm

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