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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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schlafen.«
    Aber sie schliefen nicht. Lauren lag hinter Jessica und hatte einen Arm um sie gelegt. Langsam sickerte das Tageslicht unter dem Rollo ins Zimmer.

    Kurz nach fünf setzte Jessica sich auf.
    »Ich muss mit Donny reden«, sagte sie mit kratziger Stimme.
    »Warte«, sagte Lauren. »Bevor du das tust, muss ich dir noch was sagen. In London sind ein paar Sachen passiert, von denen ich dir nichts erzählt habe. Wegen meinem Vater … und dem Haus.«
    »Ich glaube, ich kann jetzt keine Überraschungen mehr gebrauchen.«
    »Bevor du mit Donny sprichst, muss ich es dir sagen.«
    Im Nebenzimmer regte sich etwas. Die Bodendielen knarrten.
    »Das ist Zak«, sagte Jessica. »Er geht sonntags immer laufen. Warte, bis er weg ist. Dann stehen wir auf und du erzählst mir, was in London passiert ist.«
    Lauren nickte.
    »Und dann rufe ich Donny an.«

    Donny kam um kurz vor neun. Lauren machte ihm die Tür auf und fühlte den kalten Wind. Der Himmel hing tief, er war grau und die Straße nass. An den Hecken hingen Tropfen.
    »Was ist los, Lolly?«, sagte er.
    Er rieb sich die Hände. Er trug ein T-Shirt und eine Jeans, aber er schien zu frieren. Jessica stand in der Küche. Sie hatte sich eine Jogginghose und einen Pulli übergezogen und die zerstrubbelten Haare mit Wasser geglättet. Ihre Haut sah grau und ausgewaschen aus.
    »Was ist passiert?«, fragte er mit besorgtem Gesicht.
    Jessica zeigte auf den Brief.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Von meiner Schwester«, sagte sie. »Lies es.«

    Später saß Donny am Tisch und hielt sich an seiner Teetasse fest.
    »Die arme Grace«, sagte er. »Die arme Frau. Ich hätte nie gedacht, dass sie zu so etwas fähig sein könnte.«
    Der Brief lag zwischen ihnen auf dem Tisch. Sie hatten ihn wieder und wieder gelesen.
    »Wir müssen zurück nach London«, sagte Jessica.
    Donny nickte.
    »Ich packe meine Sachen. In einer halben Stunde bin ich fertig.«
    Jessica machte den Abwasch. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Donny ging zu ihr und legte von hinten die Arme um sie. Lauren sah, dass sie einem Moment reglos stehen blieb. Dann drehte sie sich um und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Ihre schaumigen Hände hielt sie ausgestreckt in die Luft.
    »Die arme Grace«, sagte sie. »Meine arme Grace.«
    Lauren spürte wieder die Tränen in sich aufsteigen. Sie verließ das Zimmer. Die Worte Und was ist mit meinem Vater? gingen ihr durch den Kopf, aber sie sprach sie nicht aus.

    Gegen zehn Uhr fuhren sie los. Lauren saß auf dem Beifahrersitz, Donny am Steuer. Jessica saß auf der Rückbank. Neben ihr stand eine kleine Reisetasche. Die Straßen waren leer, es waren wenige Laster und kaum Autos unterwegs. Sie brauchten eineinhalb Stunden bis Exeter, dann waren sie auf der Autobahn. Sie hörten keine Musik, es liefen nur leise die Nachrichten. Niemand sagte etwas. Jessica schlief eine Weile. Lauren schickte Nathan eine lange Nachricht. Sie ging nicht in die Einzelheiten, sie schrieb ihm nur, dass einige wichtige Neuigkeiten ans Licht gekommen seien und dass sie ihm später alles erzählen würde.
    Kurz vor Bath hielten sie an einer Tankstelle. Dann fuhren sie weiter bis London. Bevor sie in die Stadt hineinfuhren, hielt Donny an einem Rastplatz.
    »Ich brauche eine Pause«, sagte er. »Ich hole mir einen Kaffee. Will sonst noch jemand einen?«
    Jessica nickte, Lauren schüttelte den Kopf. Während Donny sich entfernte, lehnte Jessica sich vor und streichelte Laurens Arm.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    Lauren nickte.
    »Das ist das Einzige, was wir jetzt tun können. Wir bleiben eine Weile in London und sprechen mit der Anwältin.«
    »Ich weiß.«
    »Deine Mutter war krank, Lauren. Das darfst du nicht vergessen. Sie war nicht sie selbst.«
    »Ich weiß.«
    »Sie war sehr krank, und niemandem war das wirklich klar.«
    Jessicas Stimme wurde leiser, als spräche sie zu sich selbst. Als Donny zurückkam, gab er Jessica ihren Kaffee, blieb neben der Fahrertür stehen und trank aus seinem Becher.
    »Aber deinem Vater kann ich nicht verzeihen«, sagte sie.
    Lauren runzelte die Stirn.
    »Ich weiß, dass du das nicht hören willst, und ich sage es nur dieses eine Mal. Wenn er sie besser behandelt hätte, sich um sie gekümmert hätte, sie geliebt hätte, wäre sie ein anderer Mensch gewesen.«
    Lauren schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht darüber nachdenken.
    »Vielleicht ist das der Grund, warum er sie nicht lieben konnte«, sagte Donny und beugte sich ins Auto. »Weil sie so war, wie

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