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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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hatte, sie hatte nicht gewusst, wozu er fähig war.
    Ein Geräusch von nebenan holte sie aus ihren Gedanken. Jessica stand auf. Ihre Tür ging auf, und Lauren hörte sie über den Flur ins Bad gehen. Kurz danach rauschte die Toilettenspülung, und sie ging wieder ins Bett.
    Das war Jessicas Brief. Er war nie für ihre Augen bestimmt gewesen. Sie drückte die Seiten einen Moment lang an die Brust und überlegte, ob sie zu ihr gehen und ihr zeigen sollte, was sie gefunden hatte. Aber Jessica würde ihn vielleicht gar nicht lesen, ihn irgendwo verstecken. Es konnte sein, dass sie sich weigerte, ihn zu lesen, so wie sie sich weigerte, über die Vergangenheit zu sprechen. Oder noch schlimmer, sie würde Lauren vielleicht nicht sagen, was darin stand. Sie konnte Jessica diesen Brief nicht geben, auch wenn er an sie adressiert war. Sie musste ihn lesen, damit sie wusste, was mit ihrer Mutter und William Doyle passiert war.
    Sie dachte an ihren Vater in seiner Gefängniszelle. Sie hatte ihn zehn Jahre lang nicht gesehen und nicht mit ihm gesprochen. Es war ihre Aussage, die damals auf Video aufgezeichnet worden war, die ihn ins Gefängnis gebracht hatte.
    Sie nahm den Brief wieder hoch. Eine Zeile auf der zweiten Seite war durchgestrichen worden. Lauren versuchte zu erkennen, was darunter stand, aber es war unmöglich.

    Er ist dreimal hintereinander zu mir gekommen. Ich dachte, er wäre scharf auf mich. Beim ersten Mal waren Lauren und Daisy da. Er erzählte Geschichten von Partys, auf denen er gewesen war, und machte kleine Tricks für Lauren. Beim zweiten Mal habe ich etwas für ihn gekocht. Er hatte Blumen dabei, und das Komische war, dass er nie versucht hat, mich zu berühren, er hat mich immer nur kurz umarmt und auf die Wange geküsst. Es war, als wären wir Freunde, aber ganz ehrlich, Jessie, ich wollte ihn nicht zum Freund. Das dritte Mal, vor einer Woche, war Lauren bei Molly und hat mit den Zwillingen gespielt und Daisy hat geschlafen. Er hatte ein Spielzeug für Lauren mitgebracht, und ich weiß nicht warum, aber ich sagte, er könnte es ihr nicht geben, ich meinte, es sei besser, es für einen speziellen Anlass aufzuheben, es ist nicht gut für Kinder, dauernd Geschenke zu bekommen, und er hat sich geärgert und ist gegangen. Woher sollte ich wissen, warum er Kindern so gerne Geschenke machte?? Ich dachte darüber nach, ich dachte, er wollte einfach nur nett sein, und ich hatte ihm seine Großzügigkeit übelgenommen. Ich habe alles falsch verstanden, aber so bin ich nun mal, ich kann nicht zwischen den Zeilen lesen, so schlau bin ich nicht (Robbie hat das gewusst, deswegen konnte er mich auch so lange betrügen, ich habe immer alles geglaubt). Ich habe einfach nicht verstanden, was da lief. Ich wollte ihn unbedingt sehen und die Dinge wieder ins Lot bringen. Ich habe versucht, ihn auf seinem Handy anzurufen, aber er ist nicht drangegangen. Dann habe ich letzte Woche, als die Kinder geschlafen haben, etwas Schlimmes gemacht. Ich habe sie alleine gelassen und bin zu ihm gegangen. Seine Wohnung war nur ein paar Straßen weiter. Ich wollte nur an die Tür klopfen und mich entschuldigen. Ihn fragen, ob wir noch Freunde sein könnten. Er war zu Hause. Wenn er nicht da gewesen wäre, hätte ich nie erfahren, was er für ein Monster ist. Er schien erfreut, mich zu sehen. Er machte mir eine Tasse Tee und sagte, er sei derjenige, der sich entschuldigen müsse. Ich habe meinen Tee ausgetrunken und meine Tasse in die Küche gebracht und ich dachte, ich sollte lieber wieder nach Hause zu den Kindern gehen, und dann habe ich die offene Tür gesehen. Es war die Tür zu seinem Schlafzimmer und ich war überrascht, dass so viele Bilder an der Wand hingen, also bin ich näher gegangen und habe die Tür ein Stück weiter aufgemacht. Der Anblick war schrecklich. Die ganze Wand war mit Bildern von Kindern bedeckt, viele waren aus Katalogen für Kinderkleidung ausgeschnitten. Auf ganz vielen Bildern hatten sie nur Unterwäsche an, und mir wurde auf einmal ganz schlecht. Es war, als ob das Licht angegangen wäre und ich plötzlich alles über diesen Mann sehen konnte. Ich bin an ihm vorbei zur Tür gerannt und so schnell wie möglich nach Hause gelaufen. Ich habe die Tür abgeschlossen und mich auf den Boden gesetzt, und mein Herz hat so geklopft, als ob es mir gleich aus der Brust springt. Ich bin nach oben gerannt, und meine kleine Lauren hat tief geschlafen und meine kleine Daisy auch, meine beiden süßen Kinder, so unschuldig

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