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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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leer.
    Irgendwo musste noch eine weitere Seite versteckt sein.
    Sie legte die Arme um das Haus und kippte es nach vorne. Es war schwer, aber sie schüttelte es in der Hoffnung, dass irgendwo etwas herausfiel.
    Das war es doch, was ihre Mutter immer getan hatte. Sie hatte Briefe für Jessica versteckt. Jetzt war es Lauren, die sie finden würde. Es bewegte sich nichts, also schüttelte sie noch fester. Das Haus stieß laut gegen die Schreibtischplatte.
    Lauren, die eigentlich tot sein sollte. Weil ihr Vater sie umgebracht hatte.
    Die Tür ging auf. Jessica sah sie verschlafen und verwirrt an.
    »Was machst du? Es ist drei Uhr morgens! Was ist los?«
    Es fiel einfach nichts heraus. Sie sollte das Haus auf den Kopf stellen.
    »Was ist los? Warum ist hier so ein Chaos? Was machst du da?«
    Mit aller Kraft zog sie das Haus nach vorne. Es gab einen lauten Knall, als es mit der Vorderseite auf der Tischplatte aufkam. Ihre Mutter musste etwas zwischen den Wänden versteckt haben. Sie musste sie auseinanderbrechen. Sie fühlte Jessicas Hand auf ihrem Arm, als sie dem Haus einen kräftigen Schubs gab. Das Puppenhaus fiel vom Tisch auf den Boden. Es blieb auf der Seite liegen.
    »Lauren, hör auf damit! Hör auf!«
    Sie schüttelte Jessicas Arm ab und griff nach der Taschenlampe. Sie benutzte sie wie einen Hammer und schlug auf die Seitenwand ein. Wenn sie es kaputtmachen musste, würde sie es tun. Sie würde es kurz und klein schlagen, damit sie fand, wonach sie suchte. Einen versteckten Brief von ihrer Mutter. Sie würde ihn finden.
    Sie schlug vier, fünf, sechs Mal gegen das Holz. Dann spürte sie, wie ihre Kraft nachließ. Die Taschenlampe hing in ihrer Hand. Sie sah Jessica, die mit offenem Mund und einem geschockten Gesichtsausdruck dastand.
    Da waren keine weiteren Seiten.
    Hinter Jessica sah sie Zak, der besorgt ins Zimmer schaute.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Nein, ist es nicht.«
    »Es ist schon gut, Zak, ich kümmere mich darum«, sagte Jessica.
    Zak zuckte die Schultern und ging aus dem Zimmer. Jessica schloss die Tür.
    »Was ist los, Lolly?«, flüsterte sie und streckte die Arme nach ihr aus. »Was ist passiert?«
    Lauren zeigte zum Bett.
    »Da ist ein Brief für dich. Von meiner Mutter.«

29
    Jessica las die Seiten im Stehen. Sie trug ein ärmelloses Shirt und eine kurze Schlafanzughose. Über der Stirn stand ihr Haar steil nach oben. Ihre Beine waren dünn und ihre Knie knochig. Sie sah aus, als wäre ihr kalt, auf den Armen hatte sie Gänsehaut. Lauren legte Jessica eine Hand auf die Schulter, aber Jessica schüttelte sie ab, als wollte sie nicht, dass jemand sie berührte. Jessicas Augen wanderten auf der Seite hin und her. Sie blickte nicht auf und machte keine Pause. Als sie zur nächsten Seite kam, legte sie das obere Blatt hinter die anderen, wobei es zerknickte und in die falsche Reihenfolge geriet. Lauren hätte ihr am liebsten den Brief aus der Hand genommen und die Seiten geglättet und geordnet.
    »Ich glaube es nicht«, sagte sie, als sie das Ende gelesen hatte. »Ich glaube es nicht. Grace hätte niemals …«
    Dann ließ sie sich aufs Bett fallen und las den Brief noch einmal von vorne. Sie starrte die Wörter an, als wären sie auf Russisch geschrieben.
    Das Puppenhaus lag auf dem Fußboden. Es war an mehreren Stellen kaputt, die eine Seitenwand hatte ein Loch und eine Ecke des Dachs war auseinandergebrochen. Die Fassade, mit der man die Vorderseite schließen konnte, war abgebrochen und lag halb unter dem Haus. Möbel und Figuren waren überall auf dem Boden verstreut. Es war ein Haufen kaputtes Spielzeug. Lauren machte einen halbherzigen Versuch, die Sachen aufzuheben. Hinter sich hörte sie Jessicas Stimme:
    »Lass es liegen.«
    Sie drehte sich um. Jessica hatte die Hände vor den Mund gelegt. Sie stieß ein ersticktes Geräusch aus und zitterte am ganzen Körper. Lauren ging zu ihr und umarmte sie. Sie legte beide Arme um sie und zog sie an fest an sich. Sie spürte ihre Knochen an Schultern und Ellbogen.
    Von der Tür kam ein Schnurren und sie sah Kleopatra, die ins Zimmer spähte.
    »Ich verstehe das nicht. Wie kann das sein?«, sagte Jessica.
    Lauren nahm ihr die Seiten aus der Hand und legte sie auf den Nachttisch. Draußen war der Regen schwächer geworden. Er klopfte nur noch ganz leicht gegen das Fenster. Jessica zitterte.
    »Leg dich hin«, sagte Lauren und zog Jessica auf die Seite. Sie suchte nach dem richtigen Ende der Bettdecke und legte sie über sie beide. »Versuch zu

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