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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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Tatort. Seid ihr schon fertig?“
    „Nein, nein“, wiegelte Sperber ab, „aber das LKA hat alles im Griff, meine Jungs sind auch mittlerweile dort und unterstützen, wo sie können. Ich kümmere mich um die Spuren auf der Leiche.“ Mit dem Kinn wies er auf den Toten vor sich. „Unser Freund hier hat uns einiges mitzuteilen.“
    Bis zu diesem Moment hatte Klein es vermieden, den Leichnam zu betrachten, doch nun zwang er sich dazu. Jürgen Kohlmeyer war bereits vollständig entkleidet. Das Blut war abgewaschen, und er sah die dunklen Verfärbungen, die Totenflecken. Das Blut folgte der Schwerkraft und lagerte sich in den tiefer gelegenen Regionen des Körpers ab. Der Rest schimmerte infolge der Blutleere gräulich blass.
    „Wir haben die Kleidung mit Klebefolie abgezogen“, erklärte Sperber. „Wenn es zum Kontakt zwischen Täter und Opfer gekommen ist, könnte ein Austausch von Faserspuren stattgefunden haben, möglicherweise finden wir Haare. Die Kleidung selbst befindet sich gerade in der Trocknung. Wir werden sie lagern und können jederzeit darauf zurückgreifen. Proben des Blutes haben wir ebenfalls gesichert, bevor wir es vom Körper gewaschen haben.“
    Klein nickte stumm und ließ seine Blicke über die Brust des Toten wandern.
    „14 Stiche“, sagte Dr. Narayan, „alle von vorne und alle in den Thorax. Das Messer ist mit großer Wucht geführt worden.“ Sie deutete auf einige der klaffenden Schlitze. „An denen sieht man es gut. Unterhalb der Wunde ist der Abdruck eines Knebels zu sehen, sogenannte Prellmarken. Das passiert nur, wenn das Messer bis zum Anschlag in den Körper getrieben wird, und zwar äußerst kraftvoll.“ Sie zeigte auf eine andere Stelle in der Nähe des Herzens. „Und hier ‒ sehen Sie, kleine Rissverletzungen am oberen Wundrand. Diese wurden durch starke Bewegungen vom ungeschliffenen Teil der Klinge verursacht, dem Messerrücken. Nach meiner ersten Einschätzung hat der Täter in einer Art Rauschzustand gehandelt.“
    Klein fühlte plötzliches Unbehagen in sich aufsteigen und spürte, wie sich die Härchen an seinen Unterarmen aufstellten. Von allen Wunden und Verletzungen, die einem Menschen zugefügt werden können, war ihm der Anblick von Messerstichen besonders zuwider. Allein der Gedanke an hartes, geschliffenes Metall in menschlichem Fleisch erzeugte Übelkeit in ihm. Eine von geübter Hand geführte Klinge konnte in Sekundenschnelle viel grässlichere Dinge anrichten als die meisten anderen Waffen.
    „Einige Wunden sind länger als andere“, sagte er mit Blick auf das bizarr anmutende Muster auf der Brust des Toten.
    „Ja, das ist keineswegs unüblich. Wenn beim Ein- oder Ausstich Horizontalkräfte wirken, sticht das Messer nicht nur, sondern es schneidet auch. Die Wunde ist dann größer als die eigentliche Breite der Klinge.“
    „Gibt es Herztreffer?“, fragte Klein, ohne Dr. Narayan dabei anzusehen.
    „Derzeit vermuten wir drei unmittelbare Perforationen des Herzmuskels, aber Genaueres zu den Stichkanälen können wir erst nach der Öffnung sagen. Es gibt jedoch erste Details zum Tatwerkzeug.“
    „So?“ Klein hob die Augenbrauen und betrachtete zum ersten Mal das Gesicht des Toten. Innerlich schreckte er zurück. Der schiefe Mund, die noch immer weit aufgerissenen Augen, der leere Blick zur Decke. Das Gesicht hatte nichts Friedliches, keine Spur von Würde, kein Anzeichen dankbarer Erlösung. Es war eine Fratze. Eine teuflische Maske aus Panik, Schmerzen und Wut, festgemeißelt in dem Augenblick seines gewaltsamen, plötzlichen Todes.
    „Ja“, bekräftigte die Rechtsmedizinerin. „Sehen Sie sich diese Wunde hier an. Was fällt Ihnen auf?“
    Klein begutachtete den dunkel schimmernden Schlitz.
    „Keine Prellmarke.“
    „Ganz genau. Das deutet darauf hin, dass die Klinge an dieser Stelle nicht ganz eingedrungen ist. Dafür haben wir auf der unteren Seite einen Wundwinkel, der sich von den anderen unterscheidet. Er ist spitz zulaufend.“
    „Das heißt?“
    „Die Schneide ist außerordentlich scharf, aber wenn sie bis zum Heft eindringt, hinterlässt sie oben wie unten ein identisches Muster, so wie bei den übrigen Wunden. Wir nennen es kleine Schwalbenschwänze. Dieses Verletzungsmuster entsteht durch die Schnittwirkung scharfer Kanten.“
    „Der spitze Wundwinkel wird also überlagert?“
    „Korrekt. Bei dem Tatwerkzeug handelt es sich um eine einschneidige Klinge mit kantigem Rücken, wobei sie am Ansatz auf beiden Seiten kantig beginnt. Das

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