Die Eisbärin (German Edition)
dann passierte, aber es endete in einem Gemetzel.“
Als der Beamer das nächste Bild an die Wand warf, ging ein fassungsloses Raunen durch den Raum. Die Aufnahme hätte ebenso gut aus einem Schlachthaus stammen können. Bergmann selbst verharrte ein paar Sekunden wie gebannt, dann klickte sie weiter und zeigte den Oberkörper des Toten aus der Nähe.
„Letztlich hat der Täter mindestens ein Dutzend Mal zugestochen“, warf Klein in die Stille der professionell überspielten Abscheu seiner Kollegen. „Wie ihr gesehen habt, gibt es Unmengen von Blut in diesem Zimmer.“
Er räusperte sich und spürte, dass jeder im Raum begriffen hatte, womit sie es hier zu tun hatten.
„Wir haben mit Karsten Kohlmeyer gesprochen“, fuhr er fort. „Seinen Angaben zufolge ist er durch lautes Gepolter wach geworden und sofort nach unten geeilt. Er sagt aus, er habe noch den umstürzenden Glastisch sowie das Schlagen der Kellertür gehört, sei aber erst zu seinem Bruder ins Zimmer gerannt und habe versucht, ihn zu retten. Wir vermuten, dass Jürgen Kohlmeyer zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Der Täter ist in der Zwischenzeit zurück durch den Keller gerannt und hat auf seinem Weg eine ganze Reihe Blutspuren an den Wänden hinterlassen. Ob auch sein eigenes Blut darunter ist, ist noch völlig unklar. Anschließend kroch er zurück durch das Loch im Zaun und verschwand im Wald.“
Klein machte eine Pause und trank einen Schluck aus der Wasserflasche.
„Hier verliert sich seine Spur?“
Klein erkannte die Stimme des Staatsanwalts und schüttelte den Kopf.
„Gleich“, sagte er nur, dann knüpfte er wieder an: „Nach Überwinden des ersten Schocks lief ein völlig aufgebrachter Karsten Kohlmeyer vors Haus und beschimpfte die Kollegen, die für die Observation eingeteilt waren. Einer der beiden verständigte den Notarzt, der vier Minuten später eintraf, aber nur noch den Tod feststellen konnte. Der andere telefonierte mit der Leitstelle und folgte dann der Spur des Täters. Allerdings nur bis zum Wald. Er hat das hier entdeckt.“
Bergmann öffnete das nächste Bild, eine unscharfe Nahaufnahme des Zaunlochs.
„Entschuldigt die Qualität“, sagte Klein. „Ich habe mir eine einfache Digitalkamera aus einem der Streifenwagen geborgt. Die Bilder sind eigens für diese Besprechung, nicht für die Akte.“
Er deutete auf den Rand der Aufnahme.
„Was man an diesen Schnittkanten erahnen kann, sind schwarze Fasern. Wir gehen derzeit davon aus, dass es sich um Fetzen der Täterbekleidung handelt. Inwieweit DNA-Spuren daran zu sichern sind, wird sich zeigen müssen.“
Klein warf einen kurzen Blick auf seine Notizen, die er dicht vor seine Augen führen musste.
„Die ersten beiden Helikopter kreisten gegen 03.30 Uhr in geringer Höhe über dem Tatort. Die Wärmebildkameras haben allerdings nichts Verdächtiges aufzeichnen können. Im Wald hat sich der Täter zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr versteckt. Kurz vor vier waren die ersten Hundeführer mit Man Trailern vor Ort. Wir haben sie an einem der Kleidungsreste schnuppern lassen.“
„Man Trailer? Ist das eine Art Fährtenhund?“
Es war erneut der junge Staatsanwalt, der die Frage stellte. Offenbar war es ihm nicht unangenehm, seine Wissenslücke vor den anderen zu offenbaren. Klein schätzte diesen Charakterzug. Bei der Polizei hatte er eine Vielzahl peinlicher Missverständnisse und Pannen erlebt, die auf solche Eitelkeiten zurückzuführen waren.
„Nicht ganz“, erklärte er geduldig. „Der klassische Fährtenhund verfolgt die Bodenverletzung zertretener Organismen, vornehmlich Pflanzen. Der Man Trailer hingegen ist darauf trainiert, menschliche Geruchspartikel aufzuspüren.“ Klein war nicht sicher, ob jeder im Raum genau Bescheid wusste. Da er die Arbeit dieser Hunde in diesem Fall für wesentlich hielt, beschloss er, näher darauf einzugehen.
„Durch den Abbau von Körperzellen und deren Zersetzungsprozess entsteht der Individualgeruch eines Menschen. Dieser ist ebenso einzigartig wie ein Fingerabdruck. Jeden Tag verlieren wir Millionen dieser Zellen, und genau das kommt den Hunden bei der Suche entgegen. Sie können solche Duftspuren problemlos über mehrere Kilometer hinweg verfolgen. Alles, was sie brauchen, ist ein Geruchsträger der fraglichen Person. Das war in diesem Fall sehr einfach, wir hatten die Kleidungsreste. Es gibt allerdings ein Problem. Duftspuren sind anfällig für Witterungseinflüsse. Wie der Teufel es will, hatten wir heute
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