Die Eisbärin (German Edition)
er Weinheimer unterschätzt. Als er den Griff der Wagentür packte, merkte Klein, dass jetzt auch seine Finger zitterten. Schwer ließ er sich in den Sitz fallen und riss den Umschlag auf.
Bergmann saß neben ihm und versuchte, unauffällig mitzulesen. Doch Klein war so konzentriert, dass es ihm kaum auffiel.
Werter Herr Klein. Ich lasse Ihnen diese Zeilen zukommen, da ich fühle, dass sie bei Ihnen in guten Händen sind. Sie haben die richtigen Fragen gestellt, aber ich war zu schwach, sie zu beantworten. Wenn Sie trotz meiner Feigheit am Ende Ihrer Ermittlungen stehen, werden sich neue Fragen ergeben. Verständnis zu erwarten, wäre der Sache nicht angemessen. Aber vielleicht offenbaren sich Ihnen meine Ideale, der höhere Zweck, dem all mein Denken und Handeln zugrunde lag und von dessen Richtigkeit ich zutiefst überzeugt war. Sich eingestehen zu müssen, dass man falschlag, ist eine überaus schmerzliche Erfahrung. Mit Scham blicke ich heute zurück auf das, was ich getan habe. Das gilt in gleicher Weise für das, was die letzte Tat meines Lebens sein wird. Ich bete dafür, dass Gott mir vergeben wird. Suchen Sie Pastor Paulsberg. Ihn trifft keine Schuld, aber er wird Ihnen helfen. In Respekt und Vertrauen, Alois Weinheimer.
Klein ließ die Hände in seinen Schoß sinken und fühlte große Leere. Pastor Paulsberg. Wieder eine neue Figur. Wieder eine Möglichkeit für eine herbe Enttäuschung. Klein kam sich vor wie bei einer Schnitzeljagd, die zum Vergnügen des Veranstalters absichtlich ins Leere führte. Noch immer schweigend, zog er schließlich sein Mobiltelefon aus der Tasche und rief im Präsidium an. Hecking meldete sich in dem Augenblick, als jemand in der Leitung anklopfte. Da Klein nicht wusste, wie man den zweiten Anruf entgegennahm, ignorierte er das Piepen und trug Hecking auf, alles Wissenswerte über Pastor Paulsberg herauszufinden. Ihn zu sprechen, hatte mangels aussichtsreicher Alternativen oberste Priorität. Dann hörte er Bergmanns Handy klingeln und sah zu, wie sie den Wagen verließ. Beim Telefonieren allein und ungestört sein zu wollen, war eine Eigenheit, die Klein gelegentlich auf die Nerven ging. In diesem Moment war er froh darüber, sein Kopf konnte jede ruhige Minute gebrauchen.
Hecking hatte nichts Nennenswertes zu berichten, und Klein steckte das Telefon zurück in die Jacke. Er hielt Ausschau nach Bergmann, konnte sie aber nirgends entdecken. Stattdessen bemerkte er in der Ferne einen Wagen, der ihnen entgegenkam, langsamer wurde und schließlich in Höhe des alten Eisentores anhielt. Zwei Männer stiegen aus, und Klein wusste sofort, dass es die Kollegen der Düsseldorfer Kriminalpolizei waren. Beide waren Anfang 40, trugen Jeans und dienstlich gelieferte Schuhe. Das eigentlich Verräterische war jedoch die Bauchtasche, die ausreichend Platz für Bleistift, Zettel und die P99 bot. Klein schälte sich aus dem Wagen und begrüßte die Kollegen. Er teilte kurz mit, warum er hier war und was er wusste. Auch den Brief erwähnte er, zumal er von erheblichem Beweiswert für die Theorie des erweiterten Selbstmords war. Dann kehrte er zurück zum Wagen und sah, dass auch Bergmann inzwischen wieder eingestiegen war.
„Was ist?“, fragte er nach einem flüchtigen Blick in ihr Gesicht.
Bergmann schien merkwürdig verändert.
„Sperber hat mich angerufen“, sagte sie leise, den Blick starr geradeaus. „Die Ergebnisse der DNA-Untersuchung sind da.“
Klein spürte augenblicklich, wie sein Körper mit erhöhter Herzfrequenz reagierte. Mit einem Anflug gekränkter Irritation fragte er sich, warum Sperber nicht zuerst ihn, sondern Bergmann in dieser Angelegenheit informierte. Dann fiel ihm das Anklopfen in der Leitung ein, und er spürte Unbehagen ob seiner unbegründeten Eifersucht.
Er wusste, dass dies der entscheidende Moment in den Ermittlungen war. Jetzt würde sich herausstellen, ob der Täter binnen kürzester Zeit gefasst würde oder weiterhin völlig unbehelligt bliebe.
„Und?“
Selbst dieses eine Wort kam Klein nicht ohne Zittern über die Lippen.
„Es gibt einen Treffer.“ Jetzt blickte ihm Bergmann direkt in die Augen. „Die Spur aus Kohlmeyers Haus passt zu einer Spur eines anderen Tatortes.“
„Was?“ Klein war jetzt so aufgewühlt, dass ihm die Gedanken durcheinandergerieten. „Haben wir einen Namen?“
„Nein, keinen Namen.“
Bevor die Wucht der Enttäuschung ihn treffen konnte, fuhr Bergmann fort: „Aber das DNA-Muster ist identisch mit einer
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