Die Eisbärin (German Edition)
machen deine Urlaubspläne?“, fragte er. „Wann geht der Flieger noch gleich?“
„Zehnter Dezember“, antwortete Bergmann, und Klein bemerkte das leichte Zögern. Ihre Begeisterung hielt sich scheinbar in Grenzen.
„Aber?“
Jetzt sah sie ihm ins Gesicht.
„Ich denke darüber nach, meiner Freundin abzusagen. Dieser Fall. Ich spüre, dass wir kurz davor sind, ihn aufzuklären, und …“
„Und du möchtest den entscheidenden Augenblick nur ungern verpassen?“
„Nein. Ja. Ich meine, ich kann nicht in der Sonne liegen und entspannen, wenn ich weiß, dass ihr gerade dabei seid, die Festnahme zu planen. Kannst du das verstehen?“
Klein zog die Augenbrauen hoch und blies die Luft durch die Nase.
„Nur zu gut“, sagte er und dachte an eine ähnliche Situation, die er vor einigen Jahren erlebt hatte. Damals hatte er den Start in den Sommerurlaub mit seiner Familie verschieben müssen. Sie hatten die zweite Hälfte der großen Ferien gebucht, und so waren von den drei Wochen Schweden lediglich neun Tage geblieben, die zu allem Überfluss auch noch kalt und verregnet gewesen waren. Danach war er eine ganze Zeitlang mit Ausgrenzung und bedrückender Nichtbeachtung gestraft worden.
„Deine Freundin wird es sicher verstehen“, sagte er und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: „Aber wenn du mal Familie hast, würde ich’s mir gut überlegen.“
Bergmann schien zu verstehen und nickte knapp. Dann trank auch sie ihren Schnaps.
„Sag mal, Günther. Du hast mich nicht eingeladen, um mit mir über den Urlaub zu plaudern, hm?“
Klein spielte verlegen mit der Gabel und drückte kleine Löcher in die Papierserviette.
„Nein“, gab er schließlich zu. „Ich möchte gern deine Meinung hören.“
„Meine Meinung? Wozu?“
„Kohlmeyers Schlafzimmer. Ich rede von der Tatsache, dass es eine Frau ist, die wir suchen. Ich möchte wissen, wie eine Frau zu so etwas in der Lage ist. Was zur Hölle muss da bloß schiefgelaufen sein?“
„Du klingst so, als sei sie die erste Mörderin auf diesem Planeten.“
„Natürlich nicht. Aber Frauen handeln anders. Emotionaler. Sie töten spontan, in Notwehr oder bei extremer Eifersucht. Wenn die Tat geplant ist, was selten genug vorkommt, verwenden sie Gift oder töten aus der Distanz. Mit einer Schusswaffe. Was in Teufels Namen treibt unsere Unbekannte dazu, zum Messer zu greifen und ein solches Blutbad anzurichten?“
„Sie geht ein hohes Risiko ein, natürlich. Sie weiß auch um ihren körperlichen Nachteil, denk an den Schocker. Wir müssen davon ausgehen, dass sie Kohlmeyers Widerstand damit erheblich geschwächt hat. Außerdem hat sie sich nachts in sein Schlafzimmer geschlichen. Sie wusste sehr wohl, dass sie bei einer offenen Konfrontation unterliegen würde. Wir suchen also nicht nach einer keulenschwingenden Amazonenkriegerin.“
„Das ist alles plausibel“, sagte Klein ungeduldig. „Aber es beantwortet meine Frage nicht. Warum tut eine Frau so etwas Furchtbares?“
„Das weiß ich nicht, aber ich vermute, du hast es bereits selber gesagt.“ Bergmann machte eine kurze Pause. „Gefühle. Jürgen Kohlmeyer war ein sadistischer Mann. Er hat das Schlimmste getan, was sich viele Menschen vorstellen können, den Missbrauch der eigenen Kinder. Die Töchter kommen als Tatverdächtige nicht in Betracht, das haben wir ausschließen können. Aber die wahre Täterin könnte sich in einer Art Stellvertreterrolle sehen.“
„Ein Racheengel?“
„So ungefähr. Vielleicht ist jemand, der dieser Frau nahesteht, Opfer seiner Misshandlungen geworden. Möglicherweise sie selbst. In jedem Fall denke ich, dass das Thema Missbrauch in ihrem Umfeld eine große und bedrohliche Rolle spielt.“
„Und wie passt Lüscher in das Bild?“
„Bis vor wenigen Stunden war er für uns ein einsamer, alter Mann mit einer verstaubten Angelausrüstung im Keller und einer Vorliebe für Whiskey und junge Prostituierte. Seit heute Morgen besteht der vage Verdacht, dass auch er in den Missbrauch von Kindern verwickelt sein könnte.“
„Ja“, pflichtete Klein ihr bei. „Und auch bei ihm gibt es Anhaltspunkte für einen weiblichen Täter.“
„Nur sehe ich doch einen gewaltigen Unterschied. Über Jürgen Kohlmeyer und seine schändliche Vergangenheit wusste die ganze Nation Bescheid. Kein Tag seit seiner Entlassung, an dem er nicht im Fernsehen war. Herbert Lüscher ist der krasse Gegenentwurf. Wenn es jemanden gab, der von seinen Taten gewusst hat, dann, weil Lüscher es
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