Die Eisbärin (German Edition)
ihm erzählt hat.“
„Das mag glauben, wer will“, sagte Klein und rümpfte die Nase.
„Richtig. Die andere Möglichkeit ist, dass dieser Jemand es deshalb wusste, weil es ihm selbst passiert ist.“
„Du meinst, eine ehemalige Schülerin?“
„Ich meine erst einmal gar nichts, Günther. Ich äußere Überlegungen, Gedankenspiele, Gefühle. Darum hast du mich doch gebeten.“
„Natürlich, mach weiter.“
„Ich halte das alles nicht für Zufall. Bei Kohlmeyer suchen wir eine Frau, bei Lüscher vermuten wir eine. Kohlmeyer hat kleine Mädchen missbraucht, bei Lüscher existieren seit heute ebenfalls Hinweise in diese Richtung. In beiden Mordfällen wurde ein Messer benutzt, das übereinstimmende Wunden hinterlässt.“
„Ich sage dir ehrlich, dass ich mittlerweile auch daran glaube, dass es ein und dieselbe Täterin war. Sag mir, wie sie aussieht. Wer ist diese Frau?“
In diesem Moment kam der Kellner mit den Speisen. Geduldig warteten sie, bis alles serviert und der freundliche, kleine Mann wieder verschwunden war.
„Lass es dir schmecken“, murmelte Klein und spießte ein Stück Ente auf seine Gabel.
„Ja, guten Appetit.“
Schweigend aßen beide ein paar Minuten, dann legte Bergmann das Besteck zur Seite und ergriff das Wort.
„Ich schätze sie auf 25 bis Ende 30. Gutaussehend. Sonst hätte sie Lüscher nicht freiwillig in die Wohnung gelassen, und davon gehen wir aus. Sportlich und einigermaßen kräftig. Eine untrainierte Person hätte den Weg durch den matschigen Wald und den anschließenden Lauf zum Parkplatz nicht in dieser kurzen Zeit zurücklegen können. Sie ist entweder Hausfrau oder jemand mit flexiblen Arbeitszeiten. Lüscher ist an einem Samstagabend gestorben, aber Kohlmeyer nachts unter der Woche. Niemand begeht um halb drei einen Mord und erscheint dann um acht Uhr pünktlich und seelenruhig auf der Arbeit. Ich sehe keine Frau aus der sozial schwachen Schicht. Sie ist wohlhabend. Denken wir an den Fuchspelz und den neuen BMW, den der Bauer beobachtet hat. Wenn wir annehmen wollen, dass sie eine ehemalige Internatsschülerin ist, muss sie aus gutem Hause stammen. Die monatlichen Gebühren waren und sind horrend. Außerdem ist sie intelligent. Die Ausführung beider Taten bedurfte sorgfältiger Planung und Vorbereitung.“
Bergmann verstummte, nahm einen Schluck Cola Light und stellte das Glas achselzuckend zurück auf den Tisch.
„Das sehe ich, wenn ich an sie denke. Reine Spekulation.“
Günther Klein hatte seine Kollegin keine Sekunde aus den Augen gelassen, während sie sprach. Mit jedem einzelnen Wort war seine Bewunderung und Anerkennung für sie gestiegen.
„Ich glaube, aus dir könnte mal etwas werden“, sagte er leise.
„Danke, aber ich würde gern Polizistin bleiben.“ Sie lächelte. „Im Ernst, ich habe nur eins und eins zusammengezählt.“
„Lass uns weitermachen. Warum fällt ihr Lüscher erst in hohem Alter zum Opfer?“
„Nicht verwunderlich. Er lebte abgekapselt wie in einer verdammten Raumstation. Ich tippe auf eine zufällige Begegnung. Oder eine gezielte Suche.“
„Die erste Möglichkeit gefiele mir besser.“
„Mir auch, denn das würde bedeuten, dass sie sich in der Gegend aufgehalten hat, möglicherweise hier wohnt.“
„Vielleicht gab es sogar ein Gespräch“, spekulierte Klein. „Sie könnte ihn erkannt haben.“
Der Kellner kam und räumte ab. Zum Abschluss bestellten beide eine Tasse Tee. Klein ließ den Gesprächsfaden nicht abreißen. Es war eine mutmachende Bestätigung, dass Bergmann laut aussprach, was er selber dachte, auch wenn er die Gefahr, sich zu verrennen und auf eine falsche Fährte zu geraten, nicht außer Acht ließ. „Wieso ist sie in der Lage, Schlösser zu knacken?“, fragte er und ließ es wie einen Test klingen.
„Weil sie es früher gelernt hat.“ Bergmann war bisher nicht dazu gekommen, ihrem Kollegen davon zu berichten. „Ich habe die Strafanzeige von dem Einbruch damals gelesen. Der Zylinder des Kiosks wurde ebenfalls mit Hilfe eines Ziehfix geknackt. Solch ein Gerät kauft man nicht im Supermarkt, aber wenn man es einmal gesehen hat und über ein wenig handwerkliches Geschick verfügt, lässt sich ein einfaches Modell schnell zusammenbauen. Es gab damals übrigens weitere Einbrüche. Der Kiosk wurde ganze fünf Mal heimgesucht, aber auch benachbarte Trinkhallen und Gartenlauben waren betroffen. Spuren hat man jedoch nur dieses eine Mal gefunden. Es gab Hinweise von Zeugen auf eine Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher