Die Eisbärin (German Edition)
nicht offen zugab, von dem sich aber niemand völlig freisprechen konnte, der täglich mit Verbrechen gegen das Leben zu tun hatte. Verständnis für die Tat.
Samstag, 27. November, 16.20 Uhr
Klein zog die Zahlkarte aus der Innentasche, hängte die Jacke über die Lehne und ließ sich schwer in den Sessel in seinem Büro fallen. Bergmann hatte ihn auf dem Rückweg zum Präsidium am Kohlenkeller abgesetzt, wo sein Wagen noch immer auf dem kostenpflichtigen Parkplatz gestanden hatte. Den gelben Zettel hinter der Windschutzscheibe hatte er schon von weitem gesehen. Missmutig hatte er den Auszug aus dem Tatbestandskatalog für Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr überflogen: „Sie parkten im Bereich eines Parkscheinautomaten ohne gültigen Parkschein – länger als drei Stunden“. 25 Euro würde ihn die Angelegenheit kosten.
Das ist ja mehr als die verdammte Taxifahrt, dachte er übellaunig, versenkte die Verwarnung tief hinten in einer der vielen Schubladen und zog die Wasserflasche zu sich heran. Dann zerbröselte er eine weitere Aspirin auf der Platte seines Schreibtisches und ließ das Pulver durch ein trichterförmig gerolltes Papier in die schmale Öffnung rieseln. Erst verfolgte er gebannt die schäumende Vermischung, dann nahm er einen tiefen Zug und begleitete das Absetzen mit einem donnernden Aufstoßen. Er war allein.
Die große Nachmittagsbesprechung hatte knapp zwei Stunden in Anspruch genommen und war erst vor wenigen Minuten zu Ende gegangen. Alle waren erschienen: die Mitglieder beider Ermittlungskommissionen, Helmut Boger und der Staatsanwalt. Selbst die Präsidentin hatte es sich nicht nehmen lassen, der Zusammenkunft beizuwohnen. Am Ende waren sich alle einig gewesen, dass die Verbindungen und Parallelen in beiden Fällen nicht zu ignorieren waren und aller kriminalistischen Erfahrung nach nicht auf Zufällen beruhten. Der Presse gegenüber hatten sie Stillschweigen vereinbart.
Klein rieb sich die Schläfen und spürte, wie die dritte Kopfschmerztablette des Tages ihre Wirkung entfaltete. Die Säure schien den hartnäckigen Gegner endlich zu bezwingen.
Er blickte auf, als Bergmann ins Zimmer kam. Mit der Schärfe seiner neu gewonnenen Klarheit fiel ihm auf, wie blass sie war. Die Schatten unter den Augen zeugten von der Belastung der letzten Tage, ihr Haar wirkte spröde und stumpf. Selbst ihre sonst so beschwingten und federnden Bewegungen waren der nagenden Müdigkeit zum Opfer gefallen. Klein empfand Mitleid und überlegte, was er tun konnte. Sperber hatte gesagt, er brauche noch etwa zwei Stunden für die vorläufigen Halterlisten der aufgrund der Beschreibungen des aufmerksamen Bauern in Frage kommenden Fahrzeuge. Ebenso verhielt es sich mit der Schülerliste des Schlossinternats, die er nach der Rückkehr aus Bergheim angefordert hatte. Der richterliche Beschluss hatte nicht lange auf sich warten lassen, und Klein konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, als er an die Aachener Kollegen dachte, die in diesem Moment den Launen der grantigen Sekretärin ausgesetzt waren, die für die Erstellung der Übersicht aus ihrem freien Tag hatte geholt werden müssen. Dann dachte er an den Bericht, der noch zu Ende zu bringen war, schob den Gedanken aber wieder beiseite. Stattdessen wandte er sich an Bergmann.
„Darf ich dich einladen?“, fragte er und erntete einen verdatterten Blick.
„Auf einen Drink?“ Jetzt lachte sie. „Gern.“
„Ich dachte eher an ein verfrühtes Abendessen. Du siehst hungrig aus.“
„Gern“, wiederholte sie.
„Italienisch? Griechisch?“
Sie sprang auf und schnappte ihre Jacke. „Überlege ich mir im Auto.“
Gegen kurz nach fünf saßen sie in einem kleinen chinesischen Restaurant, in dem beide noch nie gewesen waren. Auf dem Tisch brannte eine Kerze, und im Hintergrund spielte klassische Musik. Klein ertappte sich bei dem Gedanken, dass es lange her war, seit er das letzte Mal mit einer Frau beim Essen gesessen hatte.
„Wie geht es dir?“, fragte er und nippte an seinem Begrüßungslikör.
„Danke, alles in Ordnung.“
Klein betrachtete sie genau. Er meinte zu erkennen, dass sie das kitschig-romantische Ambiente und der Wechsel von der beruflichen auf die persönliche Ebene ein wenig in Verlegenheit brachten. Auch er selbst wusste nicht recht, wie er mit der unverhofften Intimität umgehen sollte, und begann sich bereits zu fragen, ob es eine gute Idee gewesen war, hierherzukommen. Er trank den Rest des Likörs in einem Zug.
„Was
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