Die Eisbärin (German Edition)
Behörde wird langsam unruhig.“
„Ist gut“, sagte Hecking. „Ich sage den anderen Bescheid.“
„Danke.“ Klein wartete höflich, denn er spürte, dass Hecking noch etwas sagen wollte.
„Günther, es wäre kein Problem, wenn …, ich meine, Henning und ich, wir könnten uns sofort auf den Weg machen. Wir wissen zu wenig über diese Typen.“
„Nicht nötig, Bernd. Ich glaube kaum, dass dieser Martens oder jemand aus seinem Umfeld unmittelbar beteiligt ist. Wenn wir nach den Anruflisten und den Bankauszügen gehen, war Lüscher eine höchst lukrative Einnahmequelle. Und negative Publicity kann sich in solchen Kreisen niemand leisten.“
„Wie du meinst“, sagte Hecking, und noch immer lag eine Spur Besorgnis in seiner Stimme. „Wir sind hier. Wenn etwas ist, ruft uns an.“
„Das werden wir“, versprach Klein. „Bernd?“
„Ja?“
„Das war gute Arbeit. Ich hoffe, sie führt uns weiter. Bis später.“
„Viel Erfolg, bis nachher.“
Klein gab das Handy an Bergmann zurück, beugte sich vor und tippte die Anschrift in das Navigationsgerät ein. Für die 80 Kilometer würden sie rund eine Stunde brauchen. Er informierte Bergmann über die Neuigkeiten und lehnte sich zurück. Am Telefon hatte er sich unbeeindruckt gezeigt, doch jetzt fing es an, in ihm zu brodeln. Verstohlen strich er mit der rechten Hand über seine Waffe. Er war nicht sicher, die Munition am Morgen eingeführt zu haben. Als seine Finger den Plastikfuß des Magazins berührten, stellte sich große Erleichterung ein. Dann nahm er sein eigenes Handy und rief die Leitstelle in Düsseldorf an. Die Kollegen über ihr Vorhaben zu informieren, war das mindeste, was er im Hinblick auf ihre Sicherheit tun konnte.
Nach dem Gespräch versuchte er, sich zu entspannen. Bergmann war die Einzige, bei der er sich als Beifahrer zurücklehnen und die Augen schließen konnte. Mit unbeirrbarer Sicherheit steuerte sie den Opel unter Ausnutzung sämtlicher Fahrspuren über die Autobahn. Kleins Gedanken wanderten zu Michael Martens und seinen Mitarbeiterinnen. Er wusste, dass Prostitution ein fester Bestandteil der Gesellschaft war. Andere Sichtweisen waren für ihn realitäts- und lebensfremd. Dennoch pflegte er ein Verhältnis zum Geschäft mit der käuflichen Liebe, das in hohem Maße von Scham und Bitterkeit geprägt war. In keinem anderen Bereich zeigten sich menschliche Abgründe derart offen und schonungslos wie im Rotlichtmilieu mit all seinen Variationen, Auswüchsen und Verstrickungen in die organisierte Kriminalität. In den Jahren seiner polizeilichen Laufbahn war er einer Vielzahl von Menschen begegnet, die ihr Leben aufgegeben hatten und im Strudel einer Parallelgesellschaft gefangen waren, deren Alltag aus Drogen, Gewalt, Ausbeutung, Macht und zügelloser Gier bestand. Aber eines war erschütternder als alles andere und ließ einen ohnmächtig zurücktaumeln. Es war das Elend der Frauen. Das furchtbare, menschenverachtende Leid der Opfer, jener Schwächsten unter den Schwachen, die so lange manipuliert und gequält wurden, bis sie waren, wie man sie haben wollte. Gefügige, recht- und willenlose Kreaturen, die in ihrer grenzenlosen Abhängigkeit Dinge tun mussten, für die sich selbst der Teufel schämte. Junge Mädchen und Frauen, entführt, verschleppt, oder im besten Falle mit falschen Versprechungen in ein fremdes Land gelockt, an den Meistbietenden verschachert wie Vieh und so lange vergewaltigt, gefoltert und unter Drogen gesetzt, bis selbst der stärkste Wille, der aufrechteste Stolz und die unerschütterlichste Hoffnung auseinanderbrach. Diese verlorenen, seelenlosen Gesichter waren für Klein jedes Mal neu der Beweis für die dunkle Seite der Menschheit. Augenpaare, die die Welt nicht mehr wahrnahmen, sondern nach innen blickten und für den Rest des Lebens widerspiegelten, was sie dort sahen. All die Schmerzen, all die Demütigungen und das zugefügte Leid, gebündelt zu dem winzigen, dunklen Fleck ihrer Pupillen. Klein hatte in einige dieser Augen geschaut und würde den Anblick nie vergessen. Es war das Tor zum Bösen in seiner ursprünglichen, ungeschliffenen Form.
Klein bemühte sich, seine Gedanken wieder zu beruhigen, indem er sich sagte, dass die meisten Frauen in den exklusiven, teuren Bordellen und Agenturen unter besseren Bedingungen arbeiteten. Aber es war nur ein schwacher Trost, der das Leid der vielen anderen nicht abzuschwächen vermochte.
Klein atmete schwerfällig aus, zwang sich, die Gedanken
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