Die Eisbärin (German Edition)
Feierabend.
Der Ermittlungsleiter setzte sich allein an den großen Tisch, aß den Apfel gegen seine Gewohnheit mit Schale und dachte nach.
Um zehn nach fünf trommelte er die Kollegen zusammen.
Hecking berichtete, dass die telefonischen Befragungen weiterer Arbeitskollegen Lüschers allesamt enttäuschend verlaufen waren. Lauterbach hatte die Werkstatt aufgesucht, in der Lüschers Wagen regelmäßig gewartet worden war. Man erinnerte sich an den ungewöhnlich gut erhaltenen Sierra, an seinen Besitzer hingegen kaum. Danach übernahm Laschinsky das Wort. Die Durchsicht der Firmenunterlagen von Blue Sky Models hatte zwar einiges Interessante zutage gefördert, doch das meiste davon half im Fall Lüscher nicht weiter. Offenbar nahm Martens es mit der Steuer nicht allzu genau, doch darum würden sich andere kümmern. Von Bedeutung war einzig die Information, dass Lüscher am 23. Oktober gegen 18.00 Uhr zum letzten Mal von einer Frau Besuch gehabt hatte, genau eine Woche vor seinem Tod. Das betreffende Mädchen hielt sich derzeit in Frankfurt auf, und die Kollegen vor Ort waren bereits informiert.
Danach berichtete Bergmann über ihre Recherchen in den Anglervereinen der Umgebung, doch wo immer Lüscher auch geangelt hatte, er war in keinem Verein in einem Umkreis von 100 Kilometern bekannt. Abschließend trug Klein das Ergebnis der Fuchshaaruntersuchung vor, das Sperber ihm zuvor am Telefon mitgeteilt hatte. Es waren Rückstände einer Paraffin-Verbindung gefunden worden. Eine Substanz, die in der Bekleidungsindustrie zur Imprägnierung von Lederbekleidung benutzt wurde. Das stärkte natürlich die Theorie, wonach sich das Haar aus der Pelzbekleidung der oder des Unbekannten gelöst hatte. Die Ausbeute der Ermittlungen war dennoch mager, und die Ergebnisse erschienen noch dürftiger angesichts der Zuversichtlichkeit, die noch am Vortag geherrscht hatte. Klein setzte eine Besprechung für den nächsten Morgen an und schickte seine Kollegen nach Hause.
Er sah auf die Uhr, es war 18.40 Uhr. Er fühlte sich hungrig und müde. Nach einem kurzen Innehalten stand er auf, nahm seine Sachen und verließ das Präsidium. Er fuhr vom Parkplatz und steuerte den Kohlenkeller an, die Kneipe seines Bruders.
Einen Schnaps. Maximal zwei.
Mittwoch, 24. November, 00.45 Uhr
Sabine saß in der Dunkelheit ihres Wohnzimmers und schaltete von einem Programm des Kabelfernsehens zum nächsten um. Doch die Bilder und Geräusche erreichten sie nicht, ihr Blick konzentrierte sich auf einen unsichtbaren Punkt jenseits der Bildschirmoberfläche. Sie fühlte sich kraft- und mutlos, obwohl der Zeitpunkt geradezu perfekt war. Der Tag war angenehm und ruhig verlaufen. Nach dem Frühstück hatte sie Laura zur Schule gebracht, sich dann um alltägliche Erledigungen gekümmert und später Klavierstunden gegeben. Der Schüler war begabt und fleißig, und Sabine hatte sich über die großen Fortschritte, die er machte, gefreut. Sie hatte Laura von der Schule abgeholt, mit ihr zu Mittag gegessen und ihr bei den Hausaufgaben geholfen. Die Sonne hatte geschienen, und Laura war von dem Vorschlag, einen langen Spaziergang mit Branca und ihrer Mutter zu unternehmen, begeistert gewesen. Mit anbrechender Dunkelheit waren sie zurückgekehrt. Nach einem gemeinsamen Abendbrot hatten sie mit Simba und Nala, den liebenswürdigen Tieren aus dem König der Löwen, gefiebert. Die DVD hatte Laura von Markus als Belohnung für die Zwei in ihrer letzten Mathearbeit bekommen. Inzwischen schlief Laura tief und fest.
Markus war nicht zu Hause. Er hatte am Vorabend in ihrem Beisein einen Anruf mit der Bitte bekommen, einen Kollegen auf einer mehrtägigen Fachtagung zu vertreten. Der Mann war krank geworden. Markus war zunächst skeptisch gewesen, doch es ging um ein Thema, über das er seine Doktorarbeit verfasst und bereits eine Handvoll Vorträge vor kleinerem Publikum gehalten hatte.
„Das ist eine Chance“, hatte Markus zu Sabine gesagt, „und sie bezahlen recht ordentlich.“
„Geh nur“, hatte sie geantwortet und ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt. „Ich komme schon klar.“
Gegen Mittag war sein Flieger gestartet. Erst am Sonntagnachmittag würde er aus Dresden wieder zurück sein.
Sabine stand auf, lief zur Terrassentür und trat hinaus in den nächtlichen Garten. Der Himmel hatte sich zugezogen, und der Wind war stärker geworden. Es roch nach Regen, aber noch wollten die Tropfen nicht fallen.
Sie dachte an Lüscher, der sich in ihren Träumen noch
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