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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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die Dunkelheit der Nacht und in die Finsternis in ihrem Innern. Sie hatte das Gefühl der Entschlossenheit die Fahrt über bewahrt und spürte nun, dass sie vollkommen ruhig und bereit war. Sie schloss das Fenster, stieg aus und verriegelte den Wagen. Ein letztes Mal befühlte sie die Gegenstände in ihren Taschen. Sie zog den Schal ein Stück enger und die Mütze tiefer in ihr Gesicht. Dann lief sie los.
    Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Konturen traten nun deutlicher hervor. In unzähligen Spaziergängen hatte sie mit Branca jeden Weg hier erkundet, es gab keinen Trampelpfad, den sie nicht kannte. Zügig marschierte sie gegen den Wind, der ihr scharf und kalt ins Gesicht blies. Nach ein paar Minuten waren vereinzelte Lichter zu sehen. Eine kleinere Wohnstraße schlängelte sich von Süden aus durch die Felder. Wenn sie nicht quer über den Acker laufen wollte, musste Sabine ein Stück weit dieser Straße folgen. Der Ackerboden war feucht und klumpig. Das Laufen würde viel Kraft erfordern, und ihre Abdrücke wären deutlich zu sehen. Die Entscheidung war schnell gefallen. Sie hielt sich links und wählte den Weg über die Straße. Alles war dunkel. Nur im Dachgeschoss einer Doppelhaushälfte brannte ein Licht. Es war die Milchglasscheibe eines Badezimmerfensters, und Sabine musste nicht befürchten, gesehen zu werden. Die 200 Meter legte sie schnell, aber so leise und unauffällig wie möglich zurück. Dann hatte sie es geschafft. Die kleine Abzweigung führte sie wieder in den Wald hinein und ging nach etwa 50 Metern in den unscheinbaren Pfad über, der sie zum Haus führen sollte. Es war nicht der einfachste Weg, aber der einsamste, und Sabine konnte es sich unter keinen Umständen leisten, jemandem zu begegnen. Sabine konzentrierte sich auf den Untergrund. Der Wind pfiff durch die blätterlosen Kronen der Bäume, und es schien ihr, als riefe er ihren Namen. Vorsichtig tastete sie sich weiter voran, dann erreichte sie schließlich die letzte Biegung. Die Stelle war wie ein Foto in ihrem Gedächtnis gespeichert, doch in der Dunkelheit war es schwieriger als gedacht. Sie irrte eine Weile umher, dann endlich erkannte sie die glatte Rinde, den windschiefen Ast über dem geteilten Stamm: Sie hatte ihren Eingang gefunden. Vorsichtig verließ sie den Pfad und glitt in das Unterholz. Kleine Zweige knackten unter ihrem Gewicht, und Sabines Gefühl sagte, die ganze Welt könne es hören. Ihr Verstand sagte jedoch, das Rauschen des Windes würde es aufsaugen und hinaus auf den See tragen.
    Der Waldboden war in dieser Nacht weniger matschig. Meter für Meter schlug sie sich durch den Wald, von Baum zu Baum, immer darauf bedacht, die Richtung nicht zu verlieren. Erste Zweifel begannen, an ihr zu nagen, als sie es schließlich entdeckte. Ein schwarzer Schatten lag vor einem Meer aus dunklem Grau, das sich schließlich deutlich zu erkennen gab: Es war das Haus von Karsten Kohlmeyer. Die Behausung der Bestie. Sabine schlich noch ein paar Schritte näher heran, verharrte dann reglos und beobachtete. Die Rollläden vor den Fenstern waren heruntergelassen, hinter den wenigen Schlitzen war alles dunkel. Nirgendwo brannte Licht, nirgendwo warf ein Fernseher sein verräterisches Flackern durch den Raum. Die Straße war zu weit weg, um etwas zu erkennen, Sabine vermutete aber, dass die Polizisten in ihrem Auto saßen und versuchten, mit Karten und Kaffee munter zu bleiben, wenn sie überhaupt noch wach waren. Die Beamten würden wohl kaum den geheizten Wagen verlassen und Zaunrunden um das Grundstück laufen, nicht bei diesem Wetter. Sabine verweilte weitere zehn Minuten, doch nichts geschah. Schließlich trat sie aus der Deckung des breiten Eichenstamms, schlich an den Drahtzaun heran und überprüfte den Erdboden, so gut es ging. Es gab nichts, das auf regelmäßige Kontrollgänge hingedeutet hätte.
    Sabine öffnete ihre Bauchtasche und nahm den kleinen Seitenschneider heraus. Lautlos machte sie sich daran, die Drähte zu durchtrennen. Es war leicht. Zwei Minuten später war ein Rechteck in den Zaun geschnitten. Sie verstaute das Werkzeug und bog das lose Stück zur Seite. Das klaffende Loch schien ausreichend groß. Erneut wartete Sabine ein paar Minuten, aber alles blieb ruhig, nichts und niemand regte sich.
    In der Stille des Augenblicks war es Sabine, als habe gar ein Teil von ihr sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet. Dieser Teil übernahm nun die Kontrolle, und Sabine ließ

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