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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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und
arbeitet, glaube ich, immer noch hier«, antwortete
Friðrikka. »Es ist ungerecht, mich mit ihm zu
vergleichen. Ich habe bei der Suche genauso viel auf mich genommen
wie die anderen, auch wenn ich nur die direkte Umgebung des Camps
abgesucht habe. Ich möchte doch stark bezweifeln, dass Arnar
das genauso ernst genommen hat wie ich. Als Oddný Hildur
verschwunden ist, stand ich schließlich am meisten unter
Schock!«
    »Du?«, warf
Eyjólfur ein. »Arnar und Oddný Hildur waren
sich am Ende aber ziemlich nahe.« Er trank einen Schluck
Apfelsaft.
    Dóra machte ein
verwundertes Gesicht. »Was meinst du damit? Hatten sie ein
Verhältnis?« Oddný Hildur war verheiratet
gewesen, und dieser Arnar bestimmt auch.
    Eyjólfur verschluckte
sich. »Garantiert nicht. Arnar gehört zum anderen Ufer.
Ein total ätzender Typ.« An den Gesichtern der anderen
konnte er ablesen, dass er sich jetzt nicht nur als Rassist,
sondern auch noch als Schwulen-Hasser geoutet hatte. »So habe
ich das nicht gemeint! Er war nicht ätzend, weil er schwul
war, damit hatte das gar nichts zu tun. Er hatte aufgehört zu
trinken und war ein fanatischer Abstinenzler.« Dóra
erinnerte sich dunkel daran, ein Schild mit den Zwölf
Schritten der Anonymen Alkoholiker in einem der Büros gesehen
zu haben. »Er hat niemanden belästigt oder
so.« 
    »Unsinn!«,
tönte Friðrikka. »Du hattest ein echtes Problem mit
ihm, weil er schwul war. Das hatte überhaupt nichts mit seinem
AA-Gelaber zu tun.« Sie sah zu den anderen. »Die
meisten Männer hier halten sich für echte Kerle. Reden
die ganze Zeit über Fußball und so. Nachdem Arnar sich
geoutet hatte, haben sie einen Riesenbogen um ihn gemacht, und
Eyjólfur war da keine Ausnahme. Als hätten sie Angst,
sich anzustecken.«
    »Schwachsinn«,
nuschelte Eyjólfur. »Ich weiß ja nicht, wie
Arnar war, als er noch getrunken hat, aber nüchtern war er
jedenfalls total langweilig und pedantisch.«
    »Hast du eigentlich wegen
deiner Freundin gekündigt?« Dóra schaute
Friðrikka unvermittelt in die Augen. Ob die Atmosphäre im
Camp immer so angespannt gewesen war?
    »Ja.« Friðrikka
kniff die Lippen zusammen, nahm ihre Gabel in die Hand und
rührte damit in einem Ketchupfleck auf ihrem Teller herum.
Dóra wollte sie nicht zu sehr bedrängen. Die Frau war
schwer einzuschätzen und würde sich womöglich
weigern, ihnen zu helfen, die Stelle zu finden, wo die Fotos
gemacht worden waren. Matthias schien dasselbe zu denken, denn er
schwieg ebenfalls.
    »Es waren garantiert die
Grönländer«, murmelte Eyjólfur in die Stille
hinein. Offenbar musste er immer das letzte Wort haben. »Von
Anfang an haben die Ärger gemacht.« Anstatt endlich Ruhe
zu geben, redete er immer weiter – keine guten Aussichten
für die Frau, die ihn einmal heiraten würde. »Sie
haben Sachen geklaut, die nicht mehr gebraucht wurden ... alle
haben gewusst, dass sie das Projekt hassen.«
    »Was haben sie denn
geklaut?«, fragte Matthias interessiert, und Dóra
spitzte die Ohren.
    »Ach, ich weiß nicht
mehr genau, irgendwelches Zeug, das rumgelegen hat. Bretter,
Klamotten, Benzinkanister. Solche Sachen.« Eyjólfur
dachte nach. »Und Stiefel. Und wahrscheinlich noch mehr
Sachen, an die ich mich nicht mehr
erinnere.« 
    Dóras Hoffnung, dass es
sich um schwerwiegende Verbrechen handeln könnte, die die
Versicherungssumme retten könnten, löste sich in Luft
auf.
    Es war ein langer Tag gewesen,
und Dóra war froh, als sie unter die Bettdecke kriechen
konnte. Es gab keinerlei Anzeichen einer Wetterbesserung, weshalb
die Gruppe beschlossen hatte, lieber am nächsten Morgen
früh anzufangen, anstatt nach dem Abendessen noch einmal ins
Bürogebäude zu gehen. Beim Essen redeten sie nicht viel
und verschwanden bald in ihre Zimmer. Eine heiße Dusche
hätte die Stimmung gebessert, aber in diesem Teil des Camps
waren alle Leitungen eingefroren. Sie hofften, dass sich der Sturm
in der Nacht legen würde, damit sie am nächsten Tag
über das Gelände und vielleicht nach Kaanneq fahren
könnten, um dort zu fragen, ob jemand etwas über den
Verbleib der beiden Männer wusste.
    Während Dóra neben
dem schnarchenden Matthias lag, ging sie noch einmal alles durch,
was sie tagsüber herausgefunden hatte. Es ärgerte sie,
dass sie nicht genügend Hintergrundwissen über die Arbeit
vor Ort hatte, obwohl sie sich in den Vertragsunterlagen einiges
über das Ziel des Projekts hatte anlesen können. Das
Gelände sollte für den Abbau von Molybdän
vorbereitet

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