Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
Vom Netzwerk:
werden, ein Metall, das als Stahlveredler eingesetzt
wurde. Was diese Vorbereitung alles beinhaltete, war Dóra
ziemlich schleierhaft. Vor ihrem inneren Auge tauchten Hunderte von
Fotos auf, die sie angeklickt hatte: Bilder von Maschinen,
Bohrkernen und anderen Gerätschaften vor den verschiedensten
Varianten von Eis und Schnee. Dóra war schon allein vom
Starren auf den Bildschirm schneeblind. Einige Fotos zeigten die
menschenleeren Straßen und bunten Häuser von Kaanneq,
die sie auf dem Weg vom Hubschrauberlandeplatz auch gesehen hatten.
Die zwanzig Fotos von dem Tag, als die Bohrmänner einen
ungewöhnlichen Fund vermerkt hatten, hatte Dóra jedoch
nicht gefunden – wahrscheinlich unterschiedliche Perspektiven
von einer Hand im Eispanzer.
    Sie hatte längere Zeit
damit verbracht, die privaten Dateien der Bohrmänner
durchzusehen, und war schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass es
sich um fröhliche Typen handelte, die gern E-Mails mit Gags
und Scherzen verschickten. Dóra wusste, dass sie
Junggesellen waren, und den E-Mails nach zu schließen, hatten
sie auch keine Freundinnen. Keine Mails mit Liebesschwüren
oder Dates. Dafür umso mehr Mails an Freunde und Bekannte mit
Einladungen zu Partys und Abendessen.
    Halldór hatte sich
für Grönland interessiert, hatte Links zu Websites
über das Land und dessen Geschichte gespeichert. Dóra
konnte sie wegen der abgerissenen Internetverbindung nicht
anklicken, aber die Namen der Seiten waren aussagekräftig
genug. Einige hatte der Mann sogar komplett gespeichert. Auf einer
fand Dóra Fotos von dem tragischen Ereignis, als die toten
Bewohner des ursprünglichen Dorfes entdeckt worden waren.
Frauen und Kinder lagen da, als würden sie schlafen, und
starrten mit leblosen Augen in die Kamera. Die Bilder waren zwar
schwarzweiß, aber Dóra meinte, in den Betten der Toten
Blutspuren zu erkennen. Komisch, in dem Buch hatte gar nichts
über ein Blutbad gestanden ... In den meisten Betten bildeten
die Blutflecken ein Muster, eine Art grob gezeichnetes Gesicht.
Dafür musste es eine Erklärung geben.
    Der zweite Bohrmann, Bjarki,
schien stark mit seiner eigenen Gesundheit beschäftigt zu
sein. Auf den meisten Websites, die er verlinkt hatte, ging es um
Krankheiten. Dóra hatte Eyjólfur gefragt, ob Bjarki
krank gewesen sei, aber der hatte nur den Kopf geschüttelt und
gesagt, darüber hätten sie nie gesprochen, Bjarki habe
immer gesund ausgesehen. Vielleicht war er psychisch krank oder
hatte einfach nur Schuppen, die er loswerden wollte. Keine dieser
Websites war komplett gespeichert.
    Dieses Sammelsurium an
Informationen konnte die Probleme der Bank jedenfalls nicht
lösen. Es gab keine Anzeichen dafür, dass die Arbeit im
Camp durch ein Verbrechen behindert worden war, und es war
fraglich, ob es ihnen gelänge, das Verschwinden der
Bohrmänner und der Geologin zu klären. Der Wachmann
schrieb in seinen Berichten nichts Genaues über die
Maschinendefekte. Er bezweifelte, dass die Einwohner von Kaanneq
etwas damit zu tun hatten, und an einer anderen Stelle
überlegte er, ob es Demonstranten gewesen sein könnten.
Dóra war klar, dass Letzteres die Position der Bank
verbessern würde. Aber es gab keine endgültige
Schlussfolgerung, und Spekulationen brachten sie nicht
weiter.
    Das Bemerkenswerteste an diesem
anstrengenden Tag waren die Knochen in den Schreibtischschubladen
und das Foto von der Hand im Eis. Während sie noch
darüber nachdachte, wie lange es dauern würde, bis eine
Leiche gänzlich von Eis eingeschlossen wäre, schlief
Dóra ein.
    Mitten in der Nacht schreckte
sie auf, weil im Flur Dielen knarrten. Jemand schien vorsichtig
durch den Gang zu schleichen. Dóra erschauerte. Anstatt
nachzusehen, wer es war, drehte sie sich auf die andere Seite und
schlief kurz darauf wieder ein. Am nächsten Morgen war sie
sich nicht mehr sicher, ob das wirklich passiert oder Teil ihres
Traums gewesen war, eines Traums über die Menschen, die sich
vor langer Zeit in der Hoffnung auf ein besseres Leben in dieser
Gegend angesiedelt hatten und denen nur Hunger, Elend und ein
trauriges Ende beschieden war.

10.
Kapitel
    21. März 2008
    Dóra stand erst auf, als
Matthias schon aus dem Zimmer gegangen war. Sie wollte noch ein
bisschen liegen bleiben, aber auch unbedingt verhindern, dass er
einen Blick in ihren Koffer warf, während sie frische
Klamotten heraussuchte. Beim Anblick des Kofferinhalts hatte sie
gestern Abend einen Schock erlitten. Zuoberst lagen hochhackige
Schuhe, eine

Weitere Kostenlose Bücher