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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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dann kam noch hinzu, dass wir im Winter
länger hierbleiben sollten als geplant. Anstatt über
Weihnachten ein paar Monate freizukriegen, sollten wir
plötzlich Mitte Januar zurückkommen und zur schlimmsten
Zeit des Jahres hier sein. Oddný Hildur war der Meinung, das
würde alles nur noch schlimmer machen, womit sie vermutlich
recht hatte. Ich dachte damals, diese Entscheidung würde
wieder zurückgenommen, aber so war es ja leider
nicht.«         
    Dóra ließ ihren
Kopf aufs Kissen sinken. Endlich war sie müde und hatte sich
unter der Bettdecke so gut aufgewärmt, dass der kalte Boden
nicht mehr unangenehm war. »Es klärt sich bestimmt
alles«, sagte sie, obwohl sie selbst nicht wirklich davon
überzeugt war. »Bevor wir es richtig merken, sind wir
schon wieder zu Hause.« Sie wünschte gute Nacht und
hoffte, dass Friðrikka vorschlagen würde, das Licht
auszumachen.
    » Wie ist dieser Mann in
den Kühlraum gekommen?« Friðrickas Stimme klang
wieder belegt.
    »Keine Ahnung. Das ist mir
genauso schleierhaft wie die Knochen in den Schreibtischschubladen.
Vielleicht ist er aus Versehen in den Kühlraum gegangen und
erfroren. Das wäre allerdings ziemlich seltsam, man kann die
Tür ja auch von innen aufmachen.«
    »Hm.« Friðrikka
klang skeptisch. »Weißt du, ich habe irgendwo gelesen,
dass die Grönländer früher keinen echten Glauben
hatten. Anstatt an etwas zu glauben, lebten sie in Angst.«
Friðrikkas Atemzüge waren regelmäßig, so als
sei sie kurz davor, einzuschlafen, und spreche im Halbschlaf.
»So geht es mir auch. Ich bin nicht gläubig und habe
schreckliche Angst vor etwas, das ich nicht benennen
kann.«
    Dóra antwortete nicht.
Sie lag mit geschlossenen Augen da und sah das erleuchtete,
hellrote Innere ihrer Lider. Sie war zu müde, um zu
protestieren, und verstand genau, wie Friðrikka sich
fühlte.
    »Ich würde sagen, der
Mann ist schon lange tot.« Finnbogi saß in der
Küche, die Hände vor sich auf dem Tisch. Er hatte gerade
den Salzstreuer weggestellt, mit dem er herumgespielt hatte.
»Ich hab ihn mir natürlich nicht genau angeschaut, aber
selbst wenn man ihn nur von den Schultern an aufwärts sieht,
scheint es ausgeschlossen, dass er erst kürzlich gestorben
ist.« 
    Matthias nickte. »Hast du
eine Idee, woran er gestorben sein könnte?«
    Der Arzt lächelte.
»Das kann ich nicht sagen, ich hab ihn ja nur eine Minute
gesehen. Er hatte keine offensichtlichen Verletzungen am Kopf und
scheint auch nicht erstickt zu sein. Dann wäre er um den Mund
herum bläulich. Ich konnte auch keine Erfrierungen an Nase
oder Ohren sehen, die müsste er haben, wenn er erfroren
wäre. Aber das schließt nur drei von unzähligen
Todesursachen aus. Er muss obduziert werden. Ich weiß nicht,
wer in dieser Gegend dafür ausgerüstet ist,
wahrscheinlich eines der Krankenhäuser an der Westküste.
Es dauert bestimmt einige Zeit, so was zu veranlassen. Ich
könnte natürlich auch noch mal in den Kühlraum gehen
und mir den Mann genauer anschauen, aber ob das was bringt? Eine
Infektionsgefahr besteht bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt
jedenfalls nicht.«
    »Da geht keiner mehr rein,
bevor die Polizei hier ist.« Matthias blieb bei seiner
Meinung, obwohl er merkte, dass der Arzt darauf brannte, noch
einmal in den Kühlraum zu schauen. Eyjólfur und Alvar
waren wieder in den Aufenthaltsraum gegangen, nachdem Matthias sie
aus der Küche gescheucht hatte. Sie waren von der Leiche so
fasziniert gewesen, dass er befürchtet hatte, sie könnten
sich in den Kühlraum schleichen, um Fotos zu machen.
»Eigentlich sollten wir nicht hierbleiben, aber ich
weiß einfach nicht, wo wir hin sollen. Wir müssen
ausharren, bis die Polizei oder der Hubschrauber
kommt.«
    »Und wie willst du die
Polizei anrufen?«, fragte Finnbogi. »Bei der Frau im
Dorf?«
    »Was bleibt uns anderes
übrig? Wir können nur hoffen, dass sie uns
reinlässt. Eigentlich müssten wir sofort zu ihr, aber
...«
    »Meinst du, wir haben zu
viel getrunken?« Der Arzt klang verwundert. »Es war
jedenfalls nicht so viel, als dass es unter diesen Umständen
eine Rolle spielen würde.«
    Matthias war genervt, dass
Finnbogi ihm ins Wort fiel. Er hatte genug von der ganzen
Geschichte und sehnte sich nach Hause unter seine Dusche.
»Nein, ich hab eher daran gedacht, die anderen nicht alleine
zurückzulassen. Wer weiß, auf was für Ideen Alvar
und Eyjólfur kommen, und es gefällt mir gar nicht, die
Frauen allein zu lassen.«
    »Gut, dass sie dich

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