Die eisblaue Spur
uns was über die Knochen
sagen.«
»Vielleicht«,
murmelte Friðrikka in ihre Kaffeetasse. Sie trank einen Schluck
und stellte die Tasse dann behutsam auf den Unterteller. »Ich
hab ihn seit ... seit der Sache mit Oddný Hildur nicht mehr
gesehen, wir kannten uns nicht besonders gut. Er war eher
zurückhaltend.« Sie strich sich über die
sommersprossige Stirn und schloss die Augen, so als hätte sie
Migräne. Sogar auf ihren Augenlidern waren Sommersprossen.
»Er beantwortet deine Fragen bestimmt so gut er
kann.«
»Und wo kriege ich seine
Telefonnummer her?«
»Tja, ich hab sie
nicht.« Friðrikka fischte ein altes Nokia-Handy aus der
Tasche ihres Fliespullis. »Mal sehen, ob ich die damals
gespeichert habe, aber ich glaube nicht. Wir hatten natürlich
keine Handys dabei, und ich kannte Arnar nicht so gut, dass wir in
Island Kontakt gehabt hätten. Die Einzige, mit der ich
näher zu tun hatte, war Oddný Hildur.« Sie
schaute auf und steckte das Handy wieder in ihre Tasche.
»Nein, ich habe sie nicht.«
»Und du,
Eyjólfur?«
Der junge IT-Mann gähnte
gerade ausgiebig, hielt jedoch inne und schüttelte den Kopf.
»Nee, ich kannte ihn nicht besonders gut. Ich weiß noch
nicht mal, wo er wohnt. Guck doch einfach im Internet nach.«
Der Name Arnar Jóhannesson war so weit verbreitet, dass
Dóra das gerne umgangen hätte. Gehässig sagte
Eyjólfur zu Friðrikka: »Vielleicht hat dein
Ex-Mann ja seine Nummer. Die beiden haben bestimmt denselben
Freundeskreis. Bei der Betriebsfeier haben sie sich ja
prächtig verstanden.«
Friðrikka antwortete nicht
und schaute ihn nicht an. Die Einzige, die die Anspielung verstand,
war Dóra. Es hatte sich bestimmt unter den Mitarbeitern
herumgesprochen, dass Friðrikkas Ex-Mann schwul war.
»Tja, mein Lieber, wer weiß, ob du nicht auch zum
engeren Kreis gehörst«, sagte Dóra und sah
Eyjólfur scharf an. »Man sollte meinen, dass ein so
junger Mann wie du solche albernen Anspielungen nicht nötig
hätte.«
»Hey, ich hab doch nur
versucht, zu helfen. Und um mich brauchst du dir keine Sorgen zu
machen. Wenn du willst, gehen wir kurz aufs Zimmer, und ich beweise
es dir.« Er blinzelte Dóra zu.
Matthias war Gott sei Dank in
ein Gespräch mit dem Arzt vertieft und bekam nichts davon mit.
»Nein danke.« In diesem Moment kam eine junge
Grönländerin an ihren Tisch und schenkte Kaffee nach. Sie
war sehr freundlich und fragte in gutem Englisch mit dänischem
Akzent: »Was machen Sie hier? Wollen Sie auf den
Gletscher?«
»Wir sind wegen des
Bergwerks in Kaanneq hier. Sind auf dem Weg zurück nach
Island«, antwortete Dóra. Die junge Frau nickte kurz,
aber als sie den Namen des Dorfes hörte, verschwand ihr
Lächeln. »Kennen Sie sich da
aus?«
»Ich war vor vielen Jahren
mal da. Habe meiner Tante einen Sommer lang geholfen. Als Kind hat
mir das Spaß gemacht, aber ich weiß nicht, ob ich da
heute wohnen könnte.« Zögernd blieb die Frau am
Ende des Tisches stehen. »Läuft es gut mit dem Bergwerk?
Ich hab gehört, dass es da gutbezahlte Jobs geben
soll.«
»Das ist alles noch in
Vorbereitung«, antwortete Dóra. »Es dauert noch
eine Weile, bis der Betrieb aufgenommen werden kann.« Endlich
mal eine freundliche Person, die sich in der Gegend auskannte.
»Es gab ein paar Verzögerungen, aber die werden
hoffentlich bald aufgeholt. Anscheinend gehen einige Leute davon
aus, dass das mit dem Areal zusammenhängt. Dass man dort nicht
herumlaufen soll. Wissen Sie zufällig was
darüber?«
Die junge Frau wirkte hin- und
hergerissen, aber nach kurzer Bedenkzeit antwortete sie
zögernd: »Als ich dort war, wurde mir gesagt, dass ich
das verbotene Gebiet nicht betreten soll, und ich hab mich
natürlich daran gehalten. Außerdem hört und liest
man oft von der Geschichte der Siedlung, die dort war, bevor es
Kaanneq gab, und vom Schicksal der ersten Siedler.« Sie
machte wieder ein freundliches Gesicht, und die drei tiefen Falten,
die sich auf ihrer Stirn gebildet hatten, verschwanden. »Wir
hören immer gern gute Geschichten. Und es gibt Fotos, die das
Ganze noch anschaulicher machen. Sie kennen die Geschichte
bestimmt, oder?«
Dóra bejahte. »Das
ist also kein Geheimnis? Allen, die ins Dorf kommen, wird davon
erzählt?«
»Ja, ich glaube schon. In
Tuku kennen bestimmt alle diese Geschichte.« Sie sah, dass
Dóra nicht verstand, was sie meinte. »Tuku ist das,
was Sie Ostgrönland nennen.«
»Angeblich sollen dort
Leute verschwunden sein. Haben Sie davon auch
gehört?«
»Als
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