Die Eiserne Festung - 7
Probleme damit hat, mir zum ersten Mal persönlich gegenüberzustehen, dann ist er vielleicht doch törichter, als ich bislang angenommen hatte. Niemand hat ein so reines Gewissen, dass er unter diesen Umständen nicht ein wenig beunruhigt wäre. Andererseits: wenn er unter solchen Umständen in der Lage ist, derart ruhig und gelassen zu wirken, dann ist er sogar noch besser darin, sich wirklich gar nichts anmerken zu lassen, als seine Akten das vermuten lassen. Wenn Letzteres der Fall ist, werde ich für einen Agenten seines Kalibers ganz gewiss eine gut bezahlte Anstellung finden - sobald er nicht mehr dafür gebraucht wird, Coris im Auge zu behalten.
»Ich habe Ihre Berichte gelesen«, fuhr Rayno fort. »Ich muss sagen, im Vergleich zu so manchem anderen Bericht, der auf meinem Schreibtisch gelandet ist, waren die Ihrigen stets klar, präzise und umfassend. Sogar die Grammatik stimmte!«
Sein launiges Lächeln erreichte nicht seine Augen. Es gelang Seablanket, sich ein unziemliches Auflachen zu verkneifen.
»Diese Berichte«, fuhr Rayno fort, »lassen vermuten, zum einen sei sich Graf Coris der politischen Gegebenheiten von Prinz Daivyns Position bewusst. Zum anderen scheint er ... sagen wir: pragmatisch genug, um die Auswirkungen dieser Gegebenheiten auf seine eigene Zukunft zu begreifen. Gleichzeitig scheint er noch fähiger, als ich angenommen hatte. Wahrscheinlich sollte mich das nicht allzu sehr überraschen, wenn man bedenkt, wie lange er seinen Posten in Prinz Hektors Diensten innehatte. Trotzdem gibt es noch mehrere Fragen, die ich gern ansprechen würde. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder feststellen müssen, dass auch die besten schriftlichen Berichte hin und wieder ... unvollständig sind.«
Seablankets Körpersprache verriet ein gewisses Maß an Unruhe. Rayno hob daraufhin in einer sanften, abwiegelnden Geste die Hand.
»Ich will damit nicht andeuten, Sie hätten bewusst etwas ausgelassen, Master Seablanket! Natürlich habe ich auch das schon hin und wieder erlebt.« Wieder lächelte er, ein sehr dünnes Lächeln. »Was ich meinte, war, dass schriftliche Berichte niemals ein gleichwertiger Ersatz für ein persönliches Gespräch sind. Bei Letzterem kann man Fragen stellen, auf einzelne Punkte noch vertiefend eingehen, man kann sich sicher sein, alles auch wirklich verstanden zu haben, was der Berichterstatter einen wissen lassen will.«
Er schwieg einen Moment, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. Seine Miene wirkte erwartungsvoll, und Seablanket nickte.
»Ich verstehe, was Ihr meint, Eure Eminenz. Wenn Ihr Fragen habt oder auf einzelne Punkte in meinen Berichten genauer eingehen wollt, dann stehe ich Euch selbstverständlich zur Verfügung. Aber ich möchte doch zuvor darauf hinweisen, dass der Graf damit rechnet, mich in seinen Gemächern vorzufinden, wenn er von seinem Gespräch mit Vikar Zahmsyn und Vikar Zhaspahr zurückkehrt.«
»Ein wichtiger Punkt, den wir auf jeden Fall berücksichtigen müssen«, stimmte Rayno zu. »Andererseits werden der Kanzler und der Großinquisitor ihn noch einige Zeit lang über die Innenpolitik von Corisande ausfragen. Ich gehe davon aus, dass es noch mindestens zwei oder drei Stunden dauern wird, und offen gesagt, Master Seablanket, so wichtig das hier auch in vielerlei Hinsicht ist, ich habe leider keine zwei oder drei Stunden, die ich Ihnen heute Morgen widmen könnte.«
»Sehr wohl, Eure Eminenz«, gab Seablanket leise zurück und verneigte sich.
Rayno nickte, offenkundig zufrieden, dass der Corisandianer den Wink verstanden hatte. Es konnte nie schaden, bei derartigen Besprechungen den Agenten zu Kürze und Prägnanz anzuhalten.
»Dann, Master Seablanket, sollten wir anfangen!« Rayno ließ sich in den bequemen Sessel hinter seinem Schreibtisch sinken, ohne Seablanket einen Stuhl anzubieten. Er kippte den Sessel ein wenig nach hinten, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und legte die Fingerspitzen vor der Brust gegeneinander. »Zunächst einmal«, begann er, »lassen Ihre Berichte darauf schließen, dass Prinz Daivyn dem Grafen Coris gänzlich vertraut. Würden Sie kurz ausführen, warum Sie dieser Ansicht sind?«
»Eure Eminenz, im Augenblick ist der Prinz noch ein kleiner Junge«, erwiderte Seablanket, ohne zu zögern. »Er weiß, dass sein Vater tot ist, und er weiß, dass auch sein eigenes Leben in Gefahr wäre, falls charisianische Attentäter ihn erreichen könnten.«
Wieder blickte der Agent Rayno geradewegs in die Augen. Erneut
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