Die Eiserne Festung - 7
schweigend nach. Auch ihn hatte hin und wieder die Sorge umgetrieben, Coris könne mit Cayleb zu irgendeiner Art Übereinkunft kommen. Schließlich war der Graf ja in der Lage, Prinz Daivyn an Charis auszuliefern. Cayleb und Sharleyan - verdammt sollte sie sein! - mussten begriffen haben, wie wichtig Daivyn war, und sei es auch nur als Spielfigur. Andererseits wäre jeder Versuch, den jugendlichen Prinzen nach Charis zu schaffen, mit großen Risiken behaftet. Coris konnte unmöglich entgangen sein, was Mutter Kirche ihm antun würde, sollte er jemals einen solchen Versuch unternehmen und dabei scheitern.
Doch über die beiden anderen Punkte, auf die Seablanket eingegangen war, hatte Rayno noch nicht nachgedacht. Richtig, es war unwahrscheinlich, dass Cayleb dem Grafen jemals auch nur einen Funken Vertrauen schenken würde. Für Sharleyan galt das in noch höherem Maße. Zum einen würde Sharleyan niemals vergessen können, dass Coris zum Zeitpunkt von König Sailys' Ermordung Leiter von Hektors Spionageabteilung gewesen war. Coris persönlich dürfte also die Söldner-›Piraten‹ angeheuert haben, die für den Tod von Sharleyans Vater verantwortlich waren. Aber, bitte, davon einmal abgesehen: Da war Seablankets Einschätzung, wer nach Coris' Meinung aus diesem Krieg letztendlich siegreich hervorgehen würde. Wieder richtig: Falls nicht etwas geschähe, was das Kräfteverhältnis zwischen den beiden kriegführenden Parteien in katastrophaler Weise veränderte, konnte Charis gegen Mutter Kirche unmöglich gewinnen. Vielleicht war es vorstellbar (allerdings ein abscheulicher Gedanke!), dass ein unabhängiges Charis den Zorn von Mutter Kirche überstünde. Aber wie sollte, außer durch göttliche Fügung, Charis die Kirche mit all ihren praktisch unerschöpflichen Ressourcen besiegen können? Nach allem, was Rayno bislang über den Grafen Coris wusste, war der Mann gewiss schlau genug, exakt die Schlussfolgerungen zu ziehen, die Seablanket ihm gerade zugeschrieben hatte. Ein Mann, der alles verloren hatte, was er sich während eines ganzen Lebens aufgebaut hatte, musste zurückgewinnen wollen, zumindest zum Teil, was man ihm genommen hatte.
Auf jeden Fall ist das ein bedenkenswerter Punkt, sagte sich der Erzbischof selbst. Sämtliche meiner Berichte über Coris lassen vermuten, dass Seablanket Recht hat, wenn er den Grafen für deutlich schlauer hält als Zhames. Das wiederum bedeutet, er wird sich deutlich weniger leicht zu etwas außerordentlich Dummem verführen lassen. Ihn weiterhin Daivyns Vormund sein zu lassen, könnte das Klügste sein, was wir tun könnten. Vorausgesetzt natürlich, Seablankets Einschätzung hinsichtlich des Charakters des Grafen ist tatsächlich zuverlässig.
Noch einige Momente lang dachte Rayno darüber nach. Dann zuckte er gedanklich die Achseln. Trynair und Clyntahn würden sich im Laufe der nächsten Fünftage ganz gewiss ihre eigene Meinung über Coris und dessen Zuverlässigkeit bilden. Wahrscheinlich würden sie sich mehr auf ihr eigenes Urteilsvermögen verlassen als auf Ratschläge anderer. Aber es wäre gewiss gut, eine eigene Empfehlung zu diesem Thema bereits vorbereitet zu haben. Für den Fall, dass man danach fragen würde.
Rayno beschloss, es vorerst dabei bewenden zu lassen und beizeiten alles noch einmal gründlich zu durchdenken. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf Seablanket.
»Das waren einige sehr interessante Anmerkungen, Master Seablanket«, gestand er ein. »Allerdings gibt es noch einiges, was ich von Ihnen wissen möchte, und ich fürchte, die Zeit drängt. Berücksichtigen Sie das bitte im Folgenden! Also, was können Sie mir über Prinz Daivyns eigene Haltung zum Thema Charis berichten?«
»Wie ich bereits sagte, Eure Eminenz, er ist ein kleiner Junge, und sein Vater wurde erst kürzlich ermordet. Welche Dementi auch immer Cayleb und Sharleyan veröffentlichen mögen, ich glaube nicht, dass Daivyn auch nur einen Moment lang Zweifel hegt, wer für den Mord verantwortlich ist. Unter derartigen Umständen halte ich es nicht für sonderlich überraschend, dass er Cayleb abgrundtief hasst und ihm in jeder Hinsicht misstraut - und ihn fürchtet. Graf Coris und König Zhames hatten wohl wenig Schwierigkeiten, ihn zu derartigen Empfindungen zu ermutigen.« Wieder deutete Seablanket ein kaum merkliches Achselzucken an. »Unter derartigen Umständen«, griff er seine eigene Formulierung erneut auf, doch dieses Mal klang sie eindeutig ironisch, »kann
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