Die Eiserne Festung - 7
zurechtgelegt. Statt Zion fernzubleiben, hatte sie Samyl geschrieben - ganz offen, über das Semaphorennetz der Kirche, zu dem sie als Gemahlin eines der ranghöchsten Vikare freien Zugang hatte -, sie werde ihn in diesem Winter doch besuchen kommen. Dementsprechend hatte sie in aller Öffentlichkeit ihre Reise vorbereitet.
Gleichzeitig hatte sie gänzlich andere (und sehr viel unauffälligere) Vorbereitungen getroffen - zusammen mit Ahnzhelyk. Sie hatte zwar nicht damit gerechnet, dass alle drei Inquisitoren, die sie ständig beobachtet hatten, das Leben verlieren würden, aber sie hatte ihnen auch keine einzige verlogene Träne nachgeweint. Bedauerlicherweise hatte sich Ahnzhelyks ursprünglicher Plan, sie und die Kinder umgehend aus den Tempel-Landen zu bringen, als undurchführbar erwiesen. Dafür war Wyllym Raynos heimliche Suche nach ihnen zu gründlich gewesen. Schon die offene Jagd auf die ›Entführer‹ ihrer Familie wäre selbst noch unter den besten Umständen hinderlich gewesen. Doch es war Raynos ebenso rücksichtslose wie effektive heimliche Suche, die Ahnzhelyk zur Vorsicht gemahnt hatte.
Und sie dazu bewogen hat, auch so viele der anderen Familien wie nur irgend möglich aus der Stadt herauszuschaffen, rief sich Lysbet erneut ins Gedächtnis zurück. Die selbstsüchtige Mutter in ihr - die Mutter, die ihre eigenen Kinder in Sicherheit wissen wollte, und zu Shan-wei mit allen anderen Kindern! - hatte Ahnzhelyk diese Entscheidung bitter verübelt. An sich allerdings war Lysbet ganz einer Meinung mit Ahnzhelyk gewesen. So sehr sie um die Sicherheit ihrer eigenen Familie bangte, wusste sie doch eines mit absoluter Gewissheit: Jetzt einfach jeden im Stich zu lassen, der sich vielleicht noch retten ließe, wäre ein Verrat an allem, wofür der ›Kreis‹ je gestanden hatte.
Da ihr Gemahl, ihr Schwager und auch die meisten ihrer engsten Freunde aus dem Vikariat ihr Leben lassen würden für das, wofür der ›Kreis‹ stand, vermochte Lysbet Wylsynn diese Ideale ebenso wenig zu verraten wie Ahnzhelyk.
Nichts davon machte es ihr auch nur einen Deut erträglicher, diese nervenaufreibenden Fünftage hier in Zion zu überstehen - dieser Stadt, die zum Herzen des Ungeheuers geworden war. Nur gut, dass Chantahal Blahndai überhaupt keine Ähnlichkeit mit Lysbet Wylsynn hatte. Sie war älter, ihr Haar hatte eine andere Farbe; sie hatte einen auffälligen Leberfleck am Kinn, und sie war mindestens dreißig Pfund schwerer als die schlanke, jugendliche Madame Wylsynn. Und nicht nur das: Während Madame Wylsynn, als sie verschwand, in Begleitung ihrer beiden Söhne und ihrer Tochter gewesen war, hatte Chantahal nur einen einzigen Sohn.
Es war schon erstaunlich, welches Geschick jemand, der Ahnzhelyks Beruf nachging, beim Umgang mit Schminke und Haarfärbemittel entwickelte, und Winterkleidung vereinfachte es immens, die Körperkonturen zu verändern. Während die meisten Mütter es wahrscheinlich nicht gutgeheißen hätten, ihre zwölfjährige Tochter und ihren achtjährigen Sohn den Winter in einem Haus verbringen zu lassen, das, so elegant eingerichtet es auch sein mochte, nun einmal ein Bordell war, machte sich Lysbet diesbezüglich keinerlei Sorgen, was Zhanayt oder Archbahld betraf. Tatsächlich hätte sie keinen Ort der Welt nennen können, an dem die beiden sicherer gewesen wären. Lysbets größte Sorge bestand darin, dass eines der Kinder - am ehesten noch Archbahld, schließlich war er noch so klein - sie alle unachtsam an die Inquisition verraten könnte.
Ihr älterer Sohn Tohmys war jetzt vierzehn Jahre alt - ein sehr ernsthafter Junge, der schon jetzt das Bedauern (und auch den Zorn) seines Vaters über das teilte, was aus Mutter Kirche geworden war. Aber zugleich war er eben auch der Neffe seines Onkels. Wie Hauwerd war es bisher sein Wunsch gewesen, in die Tempelgarde einzutreten. Er war, trotz seiner jungen Jahre, bereits ein geschickter Schwertkämpfer und ein ausgezeichneter Schütze, sei es mit der Luntenschloss-Muskete, mit der Armbrust oder mit einem gewöhnlichen Bogen. Zugleich hatte er seiner Mutter gegenüber einen unstillbaren Beschützerinstinkt entwickelt. Er hatte sich rundheraus geweigert, sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder und seiner Schwester verstecken zu lassen.
Lysbets Versuch, ihn umzustimmen, war, um bei der Wahrheit zu bleiben, eher halbherzig gewesen. Schließlich wusste sie, wie sehr er seinem Vater glich, und wusste daher auch, wann solche Versuche ohnehin
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