Die Eiserne Festung - 7
immer geständig, nicht wahr?). Von einigen weniger bedeutenden Bischöfen und Erzbischöfen abgesehen, die es geschafft hatten, die Stadt zu verlassen, bevor der Winter ganz hereingebrochen war, konnten sie die Schuldigen jederzeit verhaften.
Aber selbst die, die es geschafft hatten, Zion zu verlassen, schoben damit das Unvermeidbare lediglich auf. Sie alle wurden durch vertrauenswürdige Inquisitoren überwacht, die nur auf den über die Semaphoren übermittelten Befehl warteten, sie in Gewahrsam zu nehmen.
Vielleicht ist es ja entfernt möglich, dass der eine oder andere tatsächlich entkommt, zumindest vorübergehend. Aber höchstens einer oder zwei ... und wer auch immer entkommen sollte: weit wird er nicht kommen!
Niemand hätte sie in dem warmen, aber äußerst schlichten Poncho im Harchong-Stil erkannt, den sie über einem ebenso zweckmäßigen Wollmantel mit Kapuze trug. Selbst für jemanden, der Lysbet Wylsynn gut kannte, war sie jetzt Chantahal Blahndai. Zumindest hoffte Lysbet das, während sie die trotz der Handschuhe eisigen Hände unter ihren Poncho zog. Ihr Gesicht verbarg der dicke, eng gewebte Schal. Zudem hielt sie den Kopf ein wenig gesenkt, um sich vor dem Wind zu schützen.
Sie hatte den Winter in Zion schon immer gehasst. Die Ländereien ihres Gemahls lagen im Süden der Tempel-Lande, unmittelbar an der Grenze zum Fürstentum Tanshar. Lysbets eigene Familie, die Beziehungen zu einigen der wichtigsten Kirchendynastien unterhielt, stammte aus Tanshar, und selbst wenn der Winter auch am Golf von Tanshar schon eisig genug werden konnte, war es dort doch nie so bitterkalt wie in Zion. Ihr Gemahl war kaum fünf Meilen von der Landesgrenze entfernt zur Welt gekommen. So hatte er stets Verständnis dafür gehabt, wie wenig Lysbet den Winter in Zion mochte. Ja, er war hierin ganz einer Meinung mit ihr.
Er hatte auch nicht geplant, dass seine Frau ihm in diesem Winter nach Zion folgte, und das aus deutlich gewichtigeren Gründen als Lysbets Abneigung dem Schnee gegenüber. Tatsächlich hatte er ihr (sehr diskret) eine Nachricht zukommen lassen, es wäre ratsam für sie, sich andere Reisepläne zurechtzulegen. Bedauerlicherweise hatte sie, noch bevor seine Nachricht eintraf, schon bemerkt, dass sie beobachtet wurde.
Den meisten wäre das vermutlich gar nicht aufgefallen. Aber Lysbet Wylsynn war nicht wie die meisten. Sie war eine sehr kluge, sehr aufmerksam beobachtende Frau. Schon als sie Samyl Wylsynns Heiratsantrag angenommen hatte, war ihr durchaus bewusst gewesen, dass sie bei einer Eheschließung mit einem Mann aus dieser Dynastie unweigerlich auch in die Politik des Tempels hineingezogen würde. Diese Vorstellung hatte sie zwar abgestoßen, zu Samyl hatte sie sich aber trotz des Altersunterschieds eindeutig hingezogen gefühlt. In bittersüßer Erinnerung zuckten Lysbets Mundwinkel. Sie empfand die gleiche Entrüstung wie er darüber, was aus Mutter Kirche geworden war.
Aber Lysbet hatte nicht damit gerechnet, dass es so schlimm würde. Nein, wirklich nicht. Niemand rechnete jemals ernstlich mit dem Ende der Welt, selbst die nicht, die sich darauf vorbereitet wähnten. Gut, ihr Verstand hatte Lysbet immer prophezeit, es könnte zu einer Katastrophe kommen. Im Laufe der letzten Jahre - vor allem, seit die ›Vierer-Gruppe‹ zu diesem katastrophalen Angriff auf das Königreich Charis aufgerufen hatte - hatte Lysbet daher unbemerkt eigene Vorkehrungen getroffen. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern in Samyls ›Kreis‹ aus dem Vikariat, hatte Lysbet auch gewusst, wer der eigentliche Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Kommunikationen der Reformisten war. Als Adorai Dynnys sich nach der Festnahme ihres Ehemannes gezwungen gesehen hatte, nach Charis zu fliehen, hatte sie ihre Aufgaben Lysbet übertragen. Dabei hatte sie ihrer Vertrauten auch gewisse Informationen zukommen lassen, die zuvor nur Adorai und Samyl bekannt gewesen waren. Aus diesem Grund wusste Lysbet, wie wichtig Ahnzhelyk Phonda für den ›Kreis‹ war ... auch wenn praktisch niemand sonst im ›Kreis‹ überhaupt nur einen Verdacht in diese Richtung hegte.
Soweit Lysbet wusste, waren sie und Samyl - und Samyls Bruder Hauwerd - die einzigen Personen in den gesamten Tempel-Landen, die überhaupt wussten, dass Ahnzhelyk in Verbindung mit dem ›Kreis‹ stand. Kaum dass Lysbet begriffen hatte, dass sie und die Kinder unter ständiger Beobachtung standen und jeder Fluchtversuch sofort vereitelt würde, hatte sie sich einen Plan
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