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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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drehte sich um, schaute sie an, schüttelte den Kopf, wollte Marcus folgen und blieb dann wieder stehen. Sie sah, dass er lautlos einen Fluch ausstieß. Dann war er schon an ihr vorbei und in dem Gang verschwunden, der zurück zum Mauerumgang führte.
    Die schlurfenden Schritte auf der Treppe wurden lauter.
    Sie wusste nicht, warum Simon diesen Weg gewählt hatte. Sie wusste nicht, ob sie ihm folgen sollte. Vielleicht, wenn sie sich’s überlegte, sollte sie das besser. Sie machte einen Schritt – und nahm aus dem Augwinkel einen Schatten wahr, der sich an der Wand entlang die Wendeltreppe hinaufbewegte, und sie wusste, dass im nächsten Augenblick der Eigentümer dieses Schattens um die Kurve biegen und freie Sicht auf das Stockwerk haben würde. Dann würde er sie sehen.
    Blitzartig fasste sie einen Entschluss, drehte sich um und kletterte weiter die Treppe hoch.
    Kaum hatte sie die ersten Schritte gemacht, da fiel ihr ein, dass das Zimmer dort oben eine Falle war. Es gab dort keinen Ausweg mehr.
    Aber wahrscheinlich würde ihr der Eigentümer des Schattens nicht folgen. Wahrscheinlich würde er einen der beiden anderen Wege wählen. Dann wäre alles gut. Sie könnte hier in ihrem Versteck abwarten, bis die Luft wieder rein war.
    In dem Halbdunkel zwischen zwei Schießscharten hielt sie an. Aufmerksam horchen …
    Kein Laut war zu hören. War er auf dem Treppenabsatz abgebogen? Immer noch nichts. Durch ihre trockenen, halb geöffneten Lippen stieß Emily einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
    Dann hörte sie, wie die Schritte weiter die Treppe hochkamen.
    Zu ihr.
    Oh nein. Oh nein.
    Sie zwang sich, abwechselnd den einen und dann den anderen Fuß hochzuheben. Sie waren schwer und kalt wie Marmor. Ein Schritt, noch ein Schritt, die Treppe hinauf.
    Oh nein. Bitte nicht. Oh nein.
    Es war Harris, sie wusste, dass es Harris war, und wenn er sie fand, würde er sie umbringen. Er wusste, dass sie in der Burg waren. Deswegen war er gekommen. Er war gekommen, um sie, Emily, zu finden und zu töten, und er würde es in dem weiß gekalkten Zimmer am Ende der Wendeltreppe tun.
    Sie stieg die Stufen hinauf, so schnell sie konnte, und dann war sie auf dem Treppenabsatz, wo die Gitterstäbe den Weg entlang den Außenmauern und noch weiter die Treppe hoch versperrten und die Tür sich in den Raum voller Licht öffnete. Sie stürzte hinein, blickte sich um. Kein Versteck. Nirgendwo.
    Ein heiseres Husten hinter ihr, immer näher kommend.
    Es sei denn – möglicherweise – der Kamin...? Sie huschte hinüber. Keine Zeit, um lange nachzudenken. Sie duckte sich, stieg auf den Metallrost und richtete sich im Rauchfang auf.
    Kopf und Schultern sind versteckt. Mehr nicht.
    Sie hob den Arm und tastete das Mauerwerk ab. Es fühlte sich rau und unregelmäßig an. Sie krallte sich mit beiden Händen an den Steinen der Vorderseite fest und schwang ihre Beine hoch, um die Füße weiter oben gegen die Rückwand des Kamins zu stemmen. Komische Haltung – sie war verdreht wie eine Katze im freien Fall -, aber sie hatte es erst mal geschafft. Ihr Rucksack war etwas zur Seite gerutscht. Sie lockerte ihre rechte Hand, fand neuen Halt weiter oben, zog sich hoch, brachte auch ihre linke Hand in eine neue Stellung, hatte jetzt etwas mehr Spielraum, verlagerte das Gewicht auf ihren Rucksack, der in die Wölbung des Rauchfangs eingekeilt war, und schaffte es, mit den Füßen noch ein Stück weiter an der Rückwand hochzuklettern. Bei jeder Bewegung, die sie machte, löste sich schwarzbrauner Ruß von den Steinen und fiel auf den Rost.
    Jemand betrat den Raum.
    Emily rührte sich nicht. Sie hing im Kamin, im Dunkeln festgeklemmt, ihr Gesicht gegen das rußige Mauerwerk gepresst. Sie schielte auf den Metallrost hinunter, der im Licht schimmerte. Die Rußflocken waren deutlich sichtbar. Sie verrieten sofort, dass sich hier jemand unrechtmäßig aufhielt.
    Das Geräusch von unregelmäßigen Schritten war zu hören. Sie stoppten. Jemand putzte sich laut und ausführlich die Nase. Mehrmals ein hässliches Schniefen. Dann ein heiseres Husten.
    Emily war sich nicht sicher, ob ihre Füße hoch genug waren, ob sie von dem Rauchfang wirklich verdeckt wurden. Sie hatte Angst, dass sie auf der Rückwand des leuchtend weißen Kamins hervorschauen könnten, von einem Sonnenstrahl in helles Scheinwerferlicht getaucht. Sie wünschte, ihre Stiefel wären mit weißer Tarnfarbe angestrichen und nicht aus dunkelbraunem Leder mit einem leichten Rotstich. Vor allem

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