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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Burg. Sie fühlte sich durch ihn gereinigt, als sie nach oben zum Himmel schaute und die Unendlichkeit des Raums in sich aufsog. Einen Augenblick lang weitete sich ihr Gemüt, als in ihr eine Ahnung von der Größe des Weltraums und von ihrer eigenen Kleinheit und Bedeutungslosigkeit aufstieg. Für den Bruchteil einer Sekunde warf sie einen Blick in ein Universum, in dem es keine Menschen gab. Auch wenn sie selbst niemals gelebt haben würde – die Sterne würden weiter ihr kaltes Licht scheinen lassen... Es war nur ein Augenblick, so schnell entschwunden wie die blitzartige Ahnung der Unendlichkeit. Sie atmete tief durch und senkte den Kopf. Die schattenhaften Umrisse von Marcus und Simon waren über die schwarzen Zacken der Zinnen gelagert. Hinter ihnen drängten sich in der Ferne die Lichter des Dorfes, die gelb, weich und einladend wirkten, verglichen mit der scharfen Kälte der Sterne.
    Sie ging zu ihnen. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen.
    Die Landschaft war in schwarze Finsternis versunken, nichts war zu erkennen, nur die sanft hügelig hingestreckten Wälder hoben sich im Sternenlicht ab. Weit hinten am Horizont verriet ein schwaches Leuchten, dass dort eine größere Stadt sein musste.
    »Wie schön«, sagte Emily.
    »Bestimmt hat Hugh hier gestanden«, sagte Simon, »und Ausschau nach dem Heer des Königs gehalten.«
    »Und gehofft, dass seine Freunde ihm zu Hilfe kommen würden«, ergänzte Marcus. »Er hat auf die Wälder ringsum geschaut und nach Zeichen gesucht, die ihm ihre Ankunft verraten würden – aufgeschreckte Vögel, Rauch, der über die Wipfel aufstieg, der Widerschein eines Feuers bei Nacht.«
    »Hier ist man so weit oben«, fuhr Simon fort. »Er hat sich bestimmt sicher gefühlt.«
    »Er hat die Steine unter seinen Füßen gespürt«, sagte Marcus. »Er hat ihre Kraft gespürt, so wie wir jetzt auch. Niemand würde gegen seinen Willen in die Burg eindringen können. Die Mauern hier würden alles überstehen.«
    »Und sie haben alles überstanden«, sagte Emily. »Auch wenn Hugh besiegt wurde. Die Mauern sind immer noch mächtig und stark. Macht einfach die Augen zu und stellt es euch vor – wie wir in der Burg sicher und geborgen sind, wie der Feind uns nichts anhaben kann.«
    »Wir müssen dafür nicht die Augen schließen«, sagte Marcus und schwieg eine Zeit lang.
    Emily versuchte herauszufinden, welche Lichter von dem Haus ihrer Eltern kamen, aber das war nicht möglich, weil sie die Straße nicht genau orten konnte. In der nächtlichen Landschaft verloren sich die üblichen Orientierungspunkte. Es war eine Welt fernab der alltäglichen, tristen Langeweile der flachen Moorlandschaft. Marcus schien ganz ähnliche Gedanken zu haben.
    »Das ist wie eine Wildnis da draußen«, sagte er. »Würde mich nicht überraschen, wenn gleich Bären oder Wölfe aus dem Wald kämen.«
    »Oder Räuber«, sagte Emily. »Eine Bande von Geächteten.«
    »Dieser König John, war das nicht der bei Robin Hood?«, fragte Simon.
    »Ja. Aber die meisten Geächteten würden dir wahrscheinlich die Kehle durchschneiden und dich nicht einfach gehen lassen.«
    Simon lachte leise. »Ich musste gerade an was ganz anderes denken«, sagte er. »Ich würde gern Carls Gesicht sehen, wenn er uns hier oben sehen könnte. Und das von Neil auch. Sie wären da unten im Burggraben, und plötzlich würden sie hören, wie jemand laut nach ihnen pfeift. Sie würden rechts und links gucken und nicht wissen, wo das Pfeifen hergekommen ist, sie hören es noch einmal, und dann kommt aus heiterem Himmel plötzlich ein Schneeball. Und haut sie um.«
    »Oder ein Pfeil«, sagte Marcus.
    »Sie würden überhaupt nicht wissen, in welche Richtung sie davonlaufen sollen.« Er lachte noch einmal. »Hey, vielleicht sind sie ja morgen da. Wär das nicht ein Riesenspaß? Wenn wir sie in einen Hinterhalt locken, wär das nicht super?«
    Emily unterbrach ihn. »Ja. Aber haben wir nicht abgemacht, es soll keiner wissen, dass wir hier drin sind?«
    »Und wir haben keine Wurfgeschosse«, sagte Marcus. »Keine Essensvorräte. Aber egal -« Er wollte auf die Uhr schauen, konnte nichts erkennen und gab es auf. »Ich muss sowieso morgen ganz früh los.«
    Simon drückte auf einen Knopf an seiner Uhr und die Anzeige leuchtete auf. »Zehn nach zwölf«, sagte er.
    »Geisterstunde.« Marcus drehte sich um. »Lasst uns zurückgehen. Denkt an das Kaminfeuer, das auf uns wartet.«

ZWIETRACHT

8
    A ls sie wieder in das Zimmer zurückkamen, war das Feuer

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