Die Eisfestung
mit der zweiten vor. Verdammter Mist!«
»Wir müssen uns aufteilen.«
»Ja. Bleibt uns nichts anderes übrig. Ich folge der ersten Leiter. Bin mir sicher, die tragen sie zu unserem Loch. Marcus wird mir dort helfen. Du bleibst erst mal hier. Wenn du einen Pfiff hörst, kommst du. Dann brauchen wir dich.«
Simon, der Anführer, sauste davon. Emily blieb am Ausguck zurück und beobachtete die Gruppe am Tor. Sie war sich sicher, dass Simon recht hatte. Zwar hatte der Einsatzleiter der Polizei die beiden Feuerwehrmänner mit der ersten Leiter begleitet, und von den Polizisten, die sich inzwischen am Tor wieder versammelt hatten, waren die meisten mit ihm gegangen. Aber eine kleine Gruppe von fünf Feinden war bei der zweiten Leiter zurückgeblieben. Im Augenblick hatten sie nichts zu tun – ein paar zündeten sich Zigaretten an, ein Mann verschwand kurz um die Ecke, wahrscheinlich, um zu pinkeln – doch Emily bemerkte, dass sie immer wieder auf die Uhr blickten. Sie schienen irgendeinen Zeitpunkt verabredet zu haben.
Bald werden auch sie losmarschieren, dachte Emily. Die Frage ist nur – wohin?
Ein schriller Schrei ertönte hinter ihr, gefolgt von einem Hilferuf. Trotz der Anweisung, die sie von Simon erhalten hatte, hielt es sie nicht an ihrem Platz. Sie löste sich vom Fenster und raste durch den Raum zu der vergitterten Türöffnung, durch die man in den Rittersaal blicken konnte. Weit weg, auf der anderen Seite des großen, leeren Raums, konnte sie den Mauerumgang sehen und dahinter die Öffnung, durch die sie in die Burg geklettert waren. Simon stand dort, beugte sich weit vor und schien nach etwas greifen zu wollen.
Ein Stockwerk tiefer rannte Marcus durch den Schnee zur Wendeltreppe. Er hatte ein langes Holzbrett in der Hand.
Emily sprintete zum Fenster zurück und schaute hinaus. Die Einsatztruppe mit der zweiten Leiter stand immer noch am Torhaus. Ein Mann guckte auf die Uhr.
Sie rannte wieder zur Türöffnung. Simon lag wie eine Krake über dem Mauerwerk. Marcus kam den Umgang entlanggerannt. Sie hörte ihn rufen, sah, wie Simon sich umdrehte, sah, wie er nach dem Holzbrett griff. Er stieß es über die Mauer und nach unten, weit durch die Öffnung gebeugt. Eine kurze Pause – dann richtete er sich auf und reckte die Faust triumphierend nach oben. Marcus klopfte ihm auf die Schulter.
Ein fernes Poltern, ferne Schreie.
Emily stimmte halblaute Hurrarufe an. Sie blickte zu den finster dräuenden Wolken hoch, dann auf die Uhr. Noch nicht mal zwei. Die Zeit verging so langsam! Immer noch zwei Stunden. Sie hatten nur eine Chance, wenn das Wetter ihnen half. Wenn es bald stark zu schneien anfing, dann konnten sie vielleicht immer noch fliehen.
Simon drehte sich um und entdeckte sie. Sie winkte und zeigte mit dem Daumen nach oben, aber er antwortete nicht darauf. Er richtete nur ein paarmal den Zeigefinger auf sie, deutete hektisch hinter ihren Rücken.
Oh -
Emily rannte schnell zum Fenster und schaute hinaus.
Die Männer waren verschwunden. Ein langer, schmaler Abdruck im Schnee erinnerte daran, dass da vor Kurzem noch eine Leiter gelegen hatte.
Der Schreck fuhr ihr durch alle Glieder. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wo waren sie? Wo waren die Männer hin?
Emily unterdrückte die aufsteigende Panik und drehte sich vom Fenster weg. Sie musste auf den Turm – von dort konnte sie zwei Seiten der Burg überblicken. Von der Maueröffnung waren wieder aufgeregte Schreie zu hören, aber sie achtete nicht darauf, sie hastete die Wendeltreppe hoch, bei jedem Schritt zwei Stufen nehmend.
Rundherum, noch mal und noch mal, keuchend... An einem leeren Raum mit vergitterten Fensterhöhlen vorbei. Rundherum, noch mal und noch mal …
Endlich war Emily oben angekommen. Sie stürzte zu den Zinnen, die zum Torhaus zeigten, und lehnte sich weit vor, sodass sie auf die ganze Mauer hinunterschauen konnte. Auf dieser Seite war niemand.
Sie rannte auf die andere Seite, lehnte sich wieder weit vor und blickte nach links. Ganz hinten, beim nächsten Turm, waren Leute zu sehen, die auf sie zukamen. Zwischen ihnen blitzte metallisch eine Leiter. Noch während sie die langsame Bewegung der Gruppe beobachtete, hielt diese an.
Es würde gleich einen zweiten Angriff geben, an einer neuen Stelle.
Als Emily den Kopf hob, sah sie die ersten dicken Schneeflocken aus den schweren Wolken herunterschweben.
Sie raste die Stufen hinunter, ihre Stiefel knallten laut auf dem Stein. Dann war sie wieder in der Vorhalle und rannte
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