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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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drohend die Faust.
    Nicht weit vom Kopf des Polizisten entfernt, sah Emily einen schwarz-weiß gemusterten Fleck im Schnee – ihre Mütze, mit der sie einen so fürchterlichen, unerwarteten Volltreffer erzielt hatte. Ihr Schal rutschte langsam herunter, und ihr Gesicht war jetzt zu erkennen, aber Emily war so geschockt, dass es ihr gar nicht auffiel. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie zu, wie der Polizist sich mithilfe seiner Kollegen, die ihn auf beiden Seiten stützten, langsam und mühsam aufrichtete. Er kam in eine sitzende Haltung. Sein Helm war verrutscht, und seine Bewegungen wirkten schwerfällig, aber er war am Leben und schien sich nicht gefährlich verletzt zu haben. Die tiefe Schneeverwehung hatte ihn vor den schlimmsten Folgen des Sturzes geschützt.
    Vor Erleichterung stieß Emily einen riesengroßen Seufzer aus – und hörte im selben Augenblick, wie drei schrille Pfiffe durch Wind und Schneegestöber an ihr Ohr drangen. Das Notsignal . Es ertönte noch einmal und rüttelte sie aus ihrer Benommenheit auf. Simon und Marcus brauchten sie – und zwar sofort.
    Sie zog ihren Kopf aus dem Fenster zurück, drehte sich um, rannte hinaus auf den Mauerumgang, zum Turm, um die Ecke, dann nur noch wenige Schritte und atemlos stand sie neben den beiden.
    Simon war auf das zerklüftete Mauerwerk geklettert und schleuderte Schneebälle nach unten. Marcus schaufelte hektisch den Schnee zusammen, presste ihn zu Bällen und warf sie zu Simon hinüber. Beide hatten bleiche Gesichter und keine Mützen mehr auf. Ihre Haare klebten nass an der Kopfhaut. Ringsum fiel der Schnee inzwischen noch dichter und heftiger.
    »Was soll ich tun?«, keuchte sie.
    »Mehr Schnee!« Marcus brachte kaum ein Wort hervor. Sein Gesicht wirkte gespenstisch, die blauen Flecken waren stark angeschwollen. Er blickte sie nicht an, seine Finger fuhren hektisch umher, um möglichst viel Schnee zu sammeln.
    »Sie kommen hoch!«, rief Simon. Er hielt sich am Geländer fest. »Wir haben die Leiter zweimal umgestoßen, aber sie haben sie jetzt festgeklemmt. Ich brauch noch mehr Schnee, um sie aufzuhalten.«
    Emily stürmte zum nächsten Mauerbogen, wo sich frischer Schnee angesammelt hatte.
    »Achtung – das Eis!« Der Ruf von Marcus kam gerade noch rechtzeitig. Emily setzte ihren Fuß neben die Eisfläche und lief weiter. Beim Mauerbogen bückte sie sich und begann hastig, einen Schneeball zu formen.
    »Her damit!«, brüllte Simon. Sie warf ihm den fertigen Schneeball zu. Er drehte sich blitzschnell um und schmiss ihn die Mauer hinunter, in das Schneegestöber hinein.
    »Noch einen!« Wieder und wieder schob Emily den Schnee auf den Steinen zusammen, bis ihre Handschuhe ganz aufgerieben und ihre Finger rot waren. Schneeflocken trieben ihr ins Gesicht, legten sich auf ihre Wimpern, sodass sie kaum etwas sehen konnte. Wieder und wieder warf sie die Schneebälle zu Simon hinüber, wieder und wieder ließ er sie zischend in die Tiefe sausen.
    »Mehr!« An dem Tonfall konnte sie hören, dass sie die Schlacht verlieren würden, dass die Angreifer immer weiter die Leiter hochkamen, immer näher an die Maueröffnung heran. Und sie wusste auch, dass das andere Fenster jetzt unbewacht war, dass die Feinde dort hochklettern würden, dass ihre Hände nach dem Fenstersims greifen würden, dass ihre Helme dort gleich aus dem Schneesturm auftauchen würden. Sie wusste, dass alles aus war, aus und vorbei, aber sie kämpfte immer noch mit den anderen weiter, sie verteidigte die Burg bis zum Ende. Ihre Finger bluteten. Der Wind blies so stark, dröhnte so laut in ihren Ohren, dass sie Simons Rufe nicht länger vom Heulen des Sturms unterscheiden konnte. Sie taumelte, stieß sich ihr Knie an den Steinen an. Wahrscheinlich war es aufgeschlagen und blutete... Nicht beachten... Weitermachen... Sie warf den nächsten Schneeball. Inzwischen hatte sie sich schon so weit entfernt, dass sie ihn zuerst Marcus zuwerfen musste, der ihn dann zu Simon warf.
    Marcus rief etwas. Emily konnte ihn nicht verstehen. Sie rief etwas zurück, aber sie konnte ihre eigene Stimme nicht hören.
    Sie formte den nächsten Schneeball, richtete sich auf, um ihn zu Marcus zu werfen – und hielt mitten in der Bewegung an. Der Schneeball fiel ihr aus der Hand.
    Zwischen zwei Säulen hindurch hatte sie in den Rittersaal geblickt, durch das Schneetreiben hindurch, auf den Mauerumgang, dorthin, wo sie hergekommen war. An der Stelle, wo eine schmale Türöffnung zu der winzigen Kammer mit dem

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