Die Eiskrone
ich mich absolut verlassen. Er wird weitere Männer kennen, denen ich vertrauen kann.«
Roane dachte darüber nach, ob die Prinzessin wirklich so zuversichtlich war, wie sie sprach. Sie selbst sorgte sich um das Naheliegende, die Nacht, denn sie hatte ihre Nachtbrille vergessen. Auch die Wirkung der Tabletten ließ allmählich nach, und sie wurde müde. Der Prinzessin ging es noch schlechter. Sie mußten ausruhen, essen und vielleicht wenigstens einen Teil der Nacht schlafen.
Sie fanden zwei vom Sturm umgebrochene Bäume, deren Äste sie so gut wie möglich zu einem primitiven Dach verflochten. Dort kauerten sie sich zusammen und verzehrten ihre Notrationen. Als sie damit fertig waren, fiel die Nacht ein.
Die Prinzessin schmiegte sich an einen der Stämme, ringelte sich zusammen und schlief sofort ein. Roane kämpfte tapfer gegen ihre Müdigkeit, denn sie mußte Wache halten.
Doch bald träumte sie, Sandar stoße sie mit einem langen Schwert gegen die Schulter. Er sagte, sie solle aufstehen und ihm die Eiskrone zeigen …
Roane öffnete die Augen. Es war nicht Sandar, den sie vor sich sah.
»Aufstehen!« befahl ihr eine barsche Stimme, und eine derbe Hand rüttelte an ihrer Schulter.
Es war einer von Reddicks Männern! Roane versuchte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben, aber der Mann, der vor ihr stand, schlug ihr die Hand weg.
»Auf!« befahl er. »Und halte die Hände so, daß ich sie sehen kann. Wehe, wenn du einen Trick versuchen solltest!«
Man hatte sie also gefangengenommen, während sie schliefen.
»Was tust du, Sergeant?« fragte die Prinzessin scharf.
»Meine Pflicht. Du bist ohne Erlaubnis auf königlichem Land. Du wirst dich vor dem Captain verantworten müssen.«
»Das ist wohl richtig, Sergeant, aber ich rate dir, höflicher zu sein, sonst wirst du dich vor dem Captain verantworten müssen. Rühre uns nicht noch einmal an!«
Die befehlsgewohnte Stimme schien ihn zu beeindrucken, denn er trat ein paar Schritte zurück. Eine fahle Sonne schien, und drei Männer betraten die Lichtung. Sie trugen Stiefel, enge Reithosen und Uniformröcke, deren Schöße von der Taille ab geschlitzt waren und über die halben Oberschenkel reichten. Sie waren von rostbrauner Farbe und mit Metallspangen geschlossen. Jeder hatte auf der rechten Brustseite ein Emblem in Grün und Purpur, und auf dem Kopf trugen sie eine Art hoher Hüte mit schmaler Krempe, an deren Bändern grün-purpurne Federn steckten.
An einem Schulterriemen trugen alle drei Schwerter, und der Anführer hatte das seine blankgezogen. Sie hatten auch noch andere Waffen bei sich, und Roane erkannte sie als die tödlichsten Waffen von Clio. Mit ihnen konnte man Metallprojektile abfeuern.
»Du gehörst zur Kavallerie von Jontar«, stellte Ludorica fest. Der Sergeant starrte sie verblüfft an. »Dein Colonel heißt Nelis Imfry. Ihn will ich sehen, und zwar sehr schnell.«
»Du wirst dem Captain vorgeführt«, erklärte der Sergeant. »Und jetzt marsch!«
Sie quälten sich durch dichtes Buschwerk zu einem Waldweg, dessen Ende von vielen Füßen festgetrampelt war. Am Sträßchen wartete ein Mann, der die Zügel von vier Duocoms in der Hand hatte. Roane wurde hinter einem der Männer hinaufgeschoben, die Prinzessin hinter einem anderen. Sehr bequem war dieser Ritt nicht, aber sie kamen ziemlich schnell zu einer Turmsiedlung, die jener glich, bei der Roanes Abenteuer begonnen hatte. Der Waldweg führte durch ein großes Tor, dessen Pfähle Eisenspitzen trugen. Dahinter mündete er in eine breitere Straße.
Der Sergeant war vorausgeritten, und als die anderen ankamen, wartete ein Offizier am Tor. Er trug die gleichen purpurgrünen Insignien und Federn und dazu noch ein großes metallenes Abzeichen. Als er die Prinzessin sah, sprang er neben ihr Reittier und streckte ihr eine helfende Hand entgegen. »Hoheit!« rief er und wandte sich zum Sergeanten um. »Marsch, zum Colonel! Sag ihm, die Prinzessin ist gefunden!«
Der Sergeant warf einen scheuen Blick auf Ludorica, bestieg wieder sein Reittier und verschwand auf der breiten Straße.
Roane half man viel höflicher herunter, als man sie hinaufgesetzt hatte. Sie folgte der Prinzessin zum Oberstock des linken Turmes. In aller Eile hatte man für Ludorica einen Stuhl herbeigebracht und holte auf ihren energischen Wink hin einen zweiten für ihre Begleiterin.
»Hoheit, wir haben Euch überall gesucht, seit wir gestern durch den Kuriervogel von Eurem Verschwinden aus Hitherhow gehört hatten. Der
Weitere Kostenlose Bücher