Die Eiskrone
dann war er sehr zornig. Roane beeilte sich also, den Rest zu erzählen.
»Es gibt einen Herzog Reddick. Er ist ein entfernter Verwandter des Königs, aber viel jünger als dieser. Mehr konnten die Späher nicht feststellen.«
»Bei all dem, was du gesehen hast, muß es sich um ein Mitglied der königlichen Familie handeln. Ist es die Prinzessin, können wir uns sicherer fühlen. Sie wird wohl keine große Jägerin sein. Trotzdem paßt es mir gar nicht, daß in unserer unmittelbaren Nähe eine solche Unruhe herrscht. Wir müssen Tagwachen einrichten, bis wir genau wissen, wer kommt. Wir müssen unsere Zeit so gut wie möglich nützen! Je länger wir auf diesem Planeten bleiben, desto größer ist die Gefahr, daß wir entdeckt werden.«
Plötzlich hob Sandar den Kopf und schnüffelte in den Wind. »Heute haben wir Glück. Ein Sturm zieht auf. Es wäre aber nicht gut, draußen zu bleiben …«
Sein Vater schaute in die gleiche Richtung. Die dünne, graue Dämmerung schien nebliger zu sein als sonst. Wolken zogen sich zusammen.
»Es dauert noch ein paar Stunden, bis der Sturm losbricht. Du, Roane, übernimmst die erste Wache. Melde dich damit, falls es notwendig wird.« Er reichte ihr einen Kommunikator, der wie eine Armbanduhr aussah. »Und geh das Gelände vom Norden her an. Diese Waldläufer sind ausgezeichnete Spurenleser. Sandar, du stellst noch einige Deformer auf. Ich hatte zwar nicht die Absicht, unsere Energievorräte so rasch aufzubrauchen, aber die Situation erfordert es. Ich stelle ein Abwehrgerät auf und kombiniere es mit einem Deformer.«
Roane seufzte insgeheim. Angenehm war es nicht, den ganzen Weg zum Kamm des Hügels kriechend zurücklegen zu müssen. Interessant und erregend war dagegen die Aussicht, diese Burg im Taschenformat zu bewachen. Es erstaunte sie, daß Onkel Offlas ihr diese Aufgabe übertragen hatte. Allerdings verstand Sandar mehr als sie von der Aufstellung der Deformer.
Sie schlüpfte in das Lager hinunter und füllte sich die Taschen mit Notrationen. Sie schmeckten zwar nach nichts, aber sie stillten den Hunger.
Ein großer Bogen nach Norden brachte sie in völlig unbekanntes Gelände. Mit dessen Erforschung durfte sie jetzt keine Zeit verlieren, aber sie gab sich alle Mühe, ihre Spuren wieder zu verwischen und keine Zweige abzubrechen. Damit verlor sie natürlich ein wenig Zeit, und es war schon ziemlich hell, als sie endlich den Hügelkamm erreichte.
Bisher hatte sie eine wichtige Entdeckung gemacht: Sie hatte mitten im Wald einen zweiten Turm gefunden, der von Bäumen und Büschen fast bis zur Unsichtbarkeit überwachsen war. Statt der Tür gab es nur eine Öffnung in einer Mauer, und es schien schon sehr lange niemand mehr da gewesen zu sein. Vielleicht war der Turm nur eine aufgegebene Ruine. Natürlich hätte sie sich gerne gründlich hier umgesehen, und sie nahm sich vor, es bei erster sich bietender Gelegenheit auch zu tun.
Und nun beobachtete sie also Burg und Dorf. Viele Fenster waren jetzt erleuchtet. Sie konnte Menschen sehen, die sich hinter den Fenstern bewegten. Die Figuren auf den Pfosten leuchteten bunt, und die Fähnchen, die sie in den Klauen hielten, flatterten im Wind.
Ein hallender Ruf riß Roane aus ihren Gedanken. Sie sah einen Mann an der Burgbrüstung. Er trug eine leuchtendrote Tunika und setzte ein Horn an die Lippen, um den Ruf zu beantworten. Reiter kamen in das Dorf herunter. Sie wurden angeführt von einem Mann, der die Zügel seines Tieres in einer Hand und mit der anderen ein Horn hielt, auf dem er Signale blies. Hinter ihm ritt ein Mann in prächtiger Kleidung, dessen Tunika mit einem komplizierten Muster geschmückt war.
Dann folgten sechs Männer in Metallhelmen und mit erhobenen Schwertern. Dann kamen wieder zwei Reiter, die einen langen Zug bewaffneter Männer anführten. Einer der Reiter war eine Frau. Ihr langer Rock blähte sich links und rechts von ihrem Reittier, als sei er geschlitzt. Der Rock war von einem tiefen Tannengrün, und die Jacke im gleichen Farbton lag sehr eng an und war auf der Brust mit dicken, spiralförmig angeordneten Silberschnüren geschmückt.
Das Gesicht konnte Roane aus dieser Höhe nicht erkennen, denn die Frau trug einen Überwurf mit einem hohen Kragen. Auf dem Kopf trug sie einen Hut mit breiter, geschwungener Krempe, die mit einem ganzen Büschel langer, gelber Federn besteckt war.
Ihr Begleiter war ebenfalls dunkelgrün gekleidet, angefangen von den Stiefeln bis zum hohen, schmalrandigen Hut. Auch
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