Die Eiskrone
einem solchen Unwetter standhalten? Was dann, wenn ein Blitz eingeschlagen hatte oder ein Baum daraufgestürzt war?
Sie fummelte an ihrem Kommunikator herum und versuchte einen Ruf auszusenden. Sie erhielt keine Antwort. Das konnte am Sturm liegen – falls es dort überhaupt noch einen Empfänger gab.
Nachdem in der Nähe des Turmes noch ein Baum umgestürzt zu sein schien, war auch die Wut des Sturmes gebrochen. Vorsichtig wischte sie den Staub von der Truhe und probierte, ob sie ihr Gewicht aushielt. Da sie nicht zusammenbrach, ließ sich Roane auf ihr nieder und stillte ihren Hunger mit einer Notration.
Dann ließ sie den Strahl ihrer Taschenlampe wieder durch den Raum spielen und sah sich nun gründlich um. Als feste Wohnstatt schien der Turm nie gedient zu haben, eher als Obdach für Jäger, die vom Einbruch der Nacht oder einem Sturm überrascht wurden.
Bisher hatte sie sich von dem moderigen Bett ferngehalten, aber nun besah sie es doch gründlicher. An den vier Ecken hatte die Bettkiste dicke Pfosten. Mit grobem Werkzeug waren Ranken und Weintrauben in die Rinde der Stämme geschnitzt. Im Kopfbrett befanden sich etliche kleine Nischen für Lampen. Und dann entdeckte Roane eine ganze Reihe von Hohlräumen in der Mauer, aus denen sie schloß, daß hier einmal eine Leiter nach oben geführt hatte. Im vollen Strahl ihrer Lampe erkannte sie, daß diese Löcher bis zu einem dicken Dachbalken hinaufführten. Das konnte bedeuten, daß hier hinter einer Tapeten- oder Vorhangwand einmal ein Geheimgang oder Fluchtweg nach oben geführt hatte.
Am liebsten wäre sie hinaufgeklettert, aber die Vernunft gebot ihr, sich auf den Rückweg zu machen, sobald das Gewitter aufgehört hatte.
Nur – es war schon zu spät. Sie stand an der Türöffnung und wartete auf eine Regenpause, als sie das Wiehern eines Duocorns vernahm und gleichzeitig bunte Farben durch das Grün schimmern sah. Suchten hier vielleicht Jäger Schutz vor dem noch immer strömenden Regen? Sie zog sich in den Turm zurück und musterte nachdenklich ihre Fußspuren auf dem staubbedeckten Boden.
Aus einer Tasche ihres Coveralls nahm sie eine Schalmaske. Die band sie um und zog sich über die Treppe zu dem einzigen Platz zurück, den sie als Versteck für geeignet hielt, die Nische hinter dem Kopfende des Bettes.
Gerade noch rechtzeitig erreichte sie den Oberstock. Natürlich schaltete sie sofort die Lampe aus, und das graue Dämmerlicht genügte ihr zur Orientierung. Schon hörte sie Stimmen und das Trappeln von Füßen. Nun durfte sie kein Risiko mehr eingehen. Sie quetschte sich in die Nische und legte eine Hand auf die Nase, um sich gegen den Geruch des vermodernden Bettzeuges zu schützen.
Sehen konnte sie nicht, was unten vorging, aber sie hörte die Leute sprechen. Während ihrer Schulung hatte sie soviel von der Sprache Revenys gelernt, daß sie die meisten Worte verstehen konnte. Die Schritte kamen zur Treppe. Sie konnte jedoch nicht feststellen, wie viele Menschen es waren. Manchmal klirrte etwas metallisch, und dann hörte sie Rufe, die wie Flüche klangen.
»… einfach so hinreiten?« hörte sie. »Hast du keinen Kopf zwischen den Ohren?«
»… gefällt mir auch nicht«, vernahm sie eine zweite Stimme ganz deutlich.
»Dann bekommt er meine Hand zu spüren! Ich sage dir, dieser Platz hier ist so sicher wie die Höhle von Keveldso. Wirf sie auf das Bett und binde sie mit den Riemen fest. Wir können hier den Regen abwarten. Wir können es uns unten gemütlich machen, und ungesehen kommt sie nicht über die Treppe herunter. Diese Koppelkette mit dem Halsband könnten nicht einmal die Bluthunde Seiner Hoheit sprengen, denn sie ist aus gutem Schwertstahl. Nun, versuch doch einmal, Mann.« Roane vernahm ein metallisches Klirren. »Das Ding hier legen wir ihr um den Hals. Siehst du, so. Ohne Schlüssel kann sie das nicht öffnen, und der hängt an meinem Gürtel. Nicht umsonst bin ich ein Hundewärter.«
»Es wird ihm aber nicht gefallen …«
»Glaubst du, es wäre ihm lieber, uns erschlüge ein Baum? Du hast doch gesehen, was mit Larkin passiert ist. Da wird dir übel, was? Sicher hat er bestimmte Pläne für den Vogel hier, aber umkommen will er sie sicher noch nicht lassen. Er hat gesagt, wir wollen aufpassen, daß sie immer schön atmet …«
»Ja …« Roane glaubte, Zögern aus der Stimme herauszuhören. Wieder hörte sie das Klicken von Metall, dann lautes Lachen und schließlich wieder die Stimme des ersten Sprechers:
»Das Ding
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