Die Eiskrone
hier kann niemand aufbrechen. Damit ist sie so sicher aufgehoben, als wäre sie an die Wand geschmiedet. Jetzt komm und laß sie in Ruhe, so daß sie nicht aufwacht. Sie hat wie eine Wildkatze gekämpft, ehe ihr Larkin den Stupser versetzte.«
Die Füße trampelten die Treppe herauf. Roane wagte kaum mehr zu atmen. Als die Gefangene auf das Bett gelegt wurde, verstärkte sich der widerliche Geruch. Wie lange mußte sie sich wohl hier versteckt halten? Konnte sie in ihrer Nische bleiben? Von dem ekelhaften Gestank wurde ihr übel. Hätte sie nur die Notration nicht gegessen!
Nun wurde der Sturm wieder schlimmer. Aus den Worten der Männer hatte sie geschlossen, daß die Person, die sie auf dasBett gelegt hatten, bewußtlos war. Vielleicht konnte sie es wagen, aus ihrem Versteck zu huschen und an einem der Fensterschlitze tief durchzuatmen? Sie mußte frische Luft haben!
Vorsichtig tat sie Schritt vor Schritt. Oben an der Treppe blieb sie lauschend stehen. Sie sah einen Lichtschimmer von unten, der von einer Laterne zu kommen schien, aber sonst herrschte graue Dämmerung im Raum. Dann wandte sie den Kopf und sah eine dunkle Gestalt auf dem Bett liegen. Sie bewegte sich und setzte sich auf. Die Bewegung verstärkte den Gestank, und dann folgte ein Hustenanfall. Im grellen Licht eines Blitzes sah Roane ein Mädchen auf dem Bett sitzen, das beide Hände über Mund und Nase gelegt hatte. Die Augen waren weit offen und sahen geradewegs in die Roanes.
3
Später konnte sich Roane nicht daran erinnern, was sie sich dabei gedacht hatte. Sie fand sich jedenfalls mit dem Gesicht nach unten auf dem stinkenden Bett, unter sich einen sich wehrenden Körper. Eine Hand drückte sie auf den Mund des Mädchens. Doch plötzlich fühlte sie einen scharfen Schmerz; das Mädchen hatte sie gebissen. Die gefürchteten Schreie blieben aber aus.
»Warum willst du mich überwältigen, du Dummkopf?« fragte das Mädchen.
Roane zuckte zurück und massierte ihre gebissene Hand. Dann nahm sie ihre Taschenlampe aus der Gürtelschlaufe und stellte sie auf die kleinste Stufe ein. Auch diesen schwachen Strahl schirmte sie noch mit der anderen Hand ab und richtete ihn auf das Gesicht des Mädchens.
Das blasse Gesicht war schmutzverschmiert und von dunklem, wirrem Haar eingerahmt. Unter dem energischen Kinn sah sie einen breiten Metallkragen, an dem eine Kette hing, die sich irgendwo im Dunkel verlor. Das Mädchen zerrte mit beiden Händen an diesem Kragen, versuchte aber gleichzeitig, hinter dem Lichtstrahl Roanes Gesicht zu erkennen.
»Wenn du nicht zu diesem Abschaum da unten gehörst – wer bist du dann?« fragte sie flüsternd.
»Ich suchte hier Schutz vor dem Sturm«, wich Roane aus, flüsterte aber noch leiser als das Mädchen. »Und dann hörte ich, wie man dich heraufbrachte, und versteckte mich.«
»Wo?« Das Mädchen sah sich um.
Roane richtete den Strahl der Lampe auf das Kopfbrett. »Dahinter. Dort ist Platz genug.«
»Aber ich weiß immer noch nicht, wer du bist«, flüsterte das Mädchen nun schärfer. »Ich bin Prinzessin Ludorica.« Ihre Stimme ließ den Schmutz auf ihrem Gesicht, das wirre Haar, den schrecklichen Geruch und den Eisenkragen um ihren Hals vergessen.
Zornig musterte Roane diesen Eisenkragen. Nach allem, was man ihr beigebracht hatte, müßte sie jetzt so schnell wie möglich verschwinden; sie konnte sich vielleicht an diesen Mauerlöchern nach oben hangeln. Es war ihr strengstens verboten, Kontakte mit Einheimischen zu unterhalten. Streitigkeiten unter Revenianern gingen sie gar nichts an. Ihre Regierung legte größten Wert darauf, daß der Grundsatz der Nichteinmischung unter allen Umständen befolgt wurde.
Aber dieser Eisenkragen …
»Ich bin nicht aus Reveny«, wisperte sie.
»Also geht dich diese Angelegenheit hier wohl nichts an?« zischte die Prinzessin. »Was bist du dann? Eine Spionin aus Vordain? Oder eine Schmugglerin? Bist du käuflich? Ich kann dir sehr viel bieten.«
Roane wunderte sich über die kühle Ruhe der Prinzessin. Da hockte sie nun mit einem Eisenkragen um den Hals auf einem übelriechenden Bett und zeigte eine Haltung, als säße sie behaglich in ihrem eigenen Palast.
»Wer sind diese Männer da unten?« fragte Roane leise. Daß sie es wagen konnten, die Erbin von Revenys Thron so zu mißhandeln, ließ darauf schließen, daß sie keine gewöhnlichen Verbrecher waren. Je genauer sie die Hintergründe dieser Sache erfuhr, desto besser konnte sie der Prinzessin helfen; sie
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