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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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kein Traubensaft im Gepäck, stattdessen vor der Brust verschränkte Arme und erwartungsvolle Blicke.
    Er hatte sich in Regierungskreisen nie besonders wohl gefühlt und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass |44| man gerade jetzt jede seiner Regungen, jedes seiner Worte in die nationale Waagschale zu werfen schien wie sonst die seiner Frau, statt ihn einfach erst einmal in die Arme zu nehmen. Alles wird gut, mein Lieber. Man konnte ihnen dies funktionsbedingt noch nicht einmal übel nehmen, es ging schließlich um nicht weniger als das System, und jede noch so kleine, unachtsame Bewegung konnte das komplette Spiel gefährden, in dem die Hauptfigur ja ohnehin schon recht angeschlagen war. Er hasste Spiele, und dieses ganz besonders. Er hätte lieber weiterhin den Unterarm seiner Frau gestreichelt. Aber es half nichts, der Unterarm seiner Frau gehörte ihm schließlich nicht allein. Er räusperte sich: »Nun, wie ich Ihnen ja bereits geschildert habe, geht es ihr den Umständen entsprechend gut. Sie sieht aus wie immer und hat keine äußeren Blessuren davongetragen.«
    »Sie ist tatsächlich ohne ein einziges blaues Auge davongekommen? Sehr schön, das kommt doch der Sache sehr entgegen.« Der MAV wirkte zufrieden mit dieser ersten Einschätzung.
    »Ja, durchaus, aber ihr Gedächtnis will noch nicht so recht wiederkommen, und   …«
    Der MAV unterbrach ihn abermals: »Wir sollten da zunächst einmal eine Grundsatzfrage klären: Sind Sie sicher, dass sie es ist?«
    »Entschuldigung, wie meinen Sie das?«
    »Na, es könnte sich durchaus um eine vom russischen Geheimdienst eingeschleuste Doppelgängerin handeln. Das kommt davon, wenn Sie ohne Sicherheitspersonal reisen.«
    Er wollte schon jetzt nur noch raus, zurück zu seiner Frau.
    »Glauben Sie mir, die denken sich heutzutage völlig in die Leute hinein, kriechen in deren Identitäten. Und von wem wird sie überhaupt medizinisch betreut? Ich sage nur: |45| Drogen! Radioaktive Stoffe! Alles schon dagewesen.« Der Minister schaute verschwörerisch in die Runde.
    Die Dame am Tisch schien das Pulver zu kennen, das man gern bereits am Anfang einer Debatte verschoss, und lenkte ein: »Den Ärztestab haben wir bereits durchleuchtet, ebenso das gesamte Pflegepersonal. Sie sind sauber. Und könnten wir zunächst bitte bei den Tatsachen bleiben, statt uns gleich aufs Terrain der Mutmaßungen zu begeben, die uns an dieser Stelle gar nicht weiterhelfen.«
    »Ich denke lediglich mit, werte Kollegin.«
    Sie ignorierte diesen Wortbeitrag und fragte anders: »Aber sie weiß jetzt schon, wer sie ist, nicht wahr?«
    Das traf ins Schwarze. Er beugte sich nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Knie, um seinen Rücken etwas zu entspannen, und malte mit dem Finger kleine Kreise auf die viel zu niedrige Glasplatte: »Nun, genau hier scheint das Problem zu liegen.«
    »Ja, aber Sie haben es ihr doch längst gesagt, oder etwa nicht?« Der MAV kam ihm so nahe, dass er dessen Atem riechen konnte. Pfefferminz und leerer Magen.
    »O ja, ich habe es ihr natürlich gesagt, gestern, vorgestern und den Tag davor auch. Sie reagiert auch jedes Mal ganz gefasst darauf, Sie kennen ja meine Frau.« Er versuchte zu lächeln.
    Man lächelte wissend zurück. Aber alle drei hatten sich jetzt weit über den Tisch in seine Richtung gebeugt und schienen nach der entscheidenden Information zu gieren.
    »Wo liegt das Problem? Wir verlängern ihren Urlaub, die Opposition bleibt ja auch immer länger weg, und bis dahin wird sie die letzten zwanzig Jahre schon wieder einstudiert haben.«
    Einen Mangel an Pragmatismus konnte man der Büroleiterin wahrlich nicht vorwerfen.
    |46| »Nun, ich befürchte, die Sache mit dem Einstudieren wird etwas aufwendiger werden.«
    »Bleiben Sie zuversichtlich, Mann!«, der MAV gab ihm mit der Faust einen Schubs an die Schulter, »Es gibt erstklassige Therapeuten! Das ist doch wie ein ganz normales Burnout, und wenn nicht, dann wäre sie nicht die erste Politikerin, der man etwas auf die Sprünge helfen muss.«
    Sie hatten es immer noch nicht verstanden. »Ich will es Ihnen jetzt mal so sagen: So wie sich die Sache momentan darstellt, werden Sie ihr wohl jeden Tag aufs Neue auf die Sprünge helfen müssen. Verstehen Sie mich richtig: Sie vergisst auch das Vergessen. Jede Nacht wird ihr Kurzzeitgedächtnis quasi ausgeplündert, und ich erzähle ihr jeden Morgen aufs Neue, dass sie ein Land regiert. Und jedes Mal ist es für sie – wie soll ich sagen – wie eine akustische

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