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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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Halluzination, die ihr direkt mit dem Morgentee serviert wird. Das ist schon etwas aufwendig, für beide Seiten, wenn ich das mal sagen darf.«
    Stille.
    Der MAV rutschte mit den Fingern vom Wasserglas ab, und es fiel klirrend auf die Platte zurück.
    Er hatte es tatsächlich geschafft, alle drei zum Schweigen zu bringen und Gesichtsausdrücke hervorzuzaubern, die sie wahrscheinlich selbst nicht mehr an sich kannten.
     
    Sie stand vor dem Spiegel und tastete sich ab, ließ keinen Quadratzentimeter aus. Die Kopfhaut hatte sie schon vorher geprüft. Letztere schien vollends unversehrt zu sein. Also kein Chip. Gab es tatsächlich eine solch merkwürdige Art von Amnesie, bei der man tatsächlich zwanzig Jahre seines Lebens und darüber hinaus jeden neuen Tag vergaß? So etwas konnten sich doch nur Geheimdienste ausdenken und nicht das Schicksal, indem es so profan rostige Bahnhofsschilder |47| löste, wenn man gerade darunterstand. Aber nichts, keine Spur einer Implantierung, noch nicht einmal eine einzige Schramme. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel, durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür. Ein Mann saß davor auf einem Stuhl und schnellte jetzt in die Höhe.
    »Chefin?«
    »Meinen Sie mich?« Er antwortete nicht gleich, und sie fand, dass etwas Trauriges in seinen Augen lag. Sie sah ihn sich genauer an. Er schien kein schlechter Mensch zu sein. Immerhin. »Entschuldigung, können Sie mir sagen, was für eine Chefin ich bin?«
    »Na, Sie sind meine Regierungschefin. Und ich passe auf Sie auf, seit Sie es sind.«
    »Ihre Regierungschefin?«
    »Ja, auch meine, aber nicht nur. Eben so ganz allgemein. Es hängen da ja noch ein paar Millionen andere Leute dran.«
    »Ah, so. Wie heißen Sie?«
    »Bodega.«
    »Nun, Herr Bodega, dann passen Sie bitte weiterhin auf mich auf. So wie es aussieht, brauche ich Sie jetzt mehr als je zuvor. Und wundern Sie sich nicht, wenn ich Sie morgen wieder frage.«
    »Ich könnte Ihnen antworten, ohne dass Sie vorher fragen müssen. Das spart Zeit und Ihnen diese kleine Unannehmlichkeit.«
    »Sehr schön, sehr pragmatisch. Sie denken mit. Das kommt mir sehr entgegen.« Sie fühlte sich wohl mit ihm, aber er sich nicht so richtig mir ihr, glaubte sie zu merken. Und ihr schwirrte immer noch der Kopf. Also ging sie zurück ins Zimmer, drehte sich aber noch einmal zu ihm um, bevor sie die Tür schloss: »Auch wenn ich Sie nicht kenne, ist es gut zu wissen, dass Sie so nah bei mir sind, da draußen vor der Tür.«
     
    |48| »Gut, ich schlage vor, davon auszugehen, dass sich das alles innerhalb der nächsten zwei Wochen gibt.« Die Büroleiterin fand als Erste die Sprache wieder. »Wir sollten dennoch für alle Fälle einen Plan B erarbeiten. Wir müssen uns aufstellen, die Opposition schläft nicht.«
    Es hörte sich an, als ob sie ganz im Sinne seiner Frau vorgehen wolle, aber so richtig sicher war er sich nicht bei ihr. »Was meinen Sie denn mit Plan B? Eine andere Personalie?«
    »Nein, um Himmels willen. Oder fällt Ihnen da ein Kandidat ein? Haben Sie zufällig jemanden in Ihrem Bekanntenkreis für diesen Job? Vielleicht ein Stelleninserat, öffentlicher Dienst und so, mit Chiffre?«
    Sie wurde jetzt doch leicht hysterisch und ihm gegenüber etwas unfair, fand er. Nur weil die Politik nicht sein Terrain war, musste sie nicht gleich an seinen Schlussfolgerungen zweifeln.
    »Mein Gott. Die Dachziegelfrage. Darauf waren wir nicht vorbereitet.« Nun meldete sich der Regierungssprecher zum ersten Mal zu Wort und versuchte, nicht zu lächeln. »Trotzdem, wir sollten insbesondere nach außen hin nichts überstürzen. Sie ist doch immer noch dieselbe, es ist alles an ihr dran und in ihr drin, nur irgendwie verschüttet. Und sie kann doch noch eine Regierungserklärung abgeben, so nach Vorgabe, oder nicht?« Er hatte diese gut angezogene, sanftmütige Art, bei der man sich nie sicher sein konnte, ob er das, was er sagte, wirklich ernst meinte.
    Der Minister tat einen zweiten Anlauf mit dem Wasserglas und griff den Faden wieder auf: »An dieser Stelle stellt sich ganz klar die Frage«, hier hob sich sein Brustkorb etwas, »ob es für einen Notfall wie diesen eine personelle Alternative gibt. Wer ist da satisfaktionsfähig? Wer ist alt genug? An wen denken wir da?«
    |49| Die Mienen neutralisierten sich wie bei einer Schulklasse, der man eine verdammt schwierige Frage gestellt hatte.
    Und nun ging es durcheinander.
    »Es sieht nicht gut aus, gar nicht gut.«
    »Oh, Gott.«
    »Mit ihr kann keiner.

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