Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
Vom Netzwerk:
merken müsse – sie hypnotisieren, verstrahlen, vergiften, auf Droge setzen, neurolinguistisch programmieren?
    Der MAV hatte versucht, ihn zu beruhigen. Das sei alles nicht von Dauer, lediglich eine erste Notfallmaßnahme, aber selbstverständlich hoch professionell, medizinisch sowie politisch.
     
    Dimitrij war sicherheitsüberprüft worden, hatte beste Referenzen, war auf vielversprechenden medizinischen Themengebieten unterwegs – und er hatte seine junge Familie daheim in Moskau. Damit war er auch das optimale Pfand, sollte es – wie der MAV mutmaßte – tatsächlich zu geheimdienstlichen Austauschaktionen kommen müssen. Und er würde keinen Verdacht erregen, wenn er täglich ihre Wohnung besuchte. Man konnte ihn für einen göttlichen Fitnesstrainer halten, groß, kräftig, blond, sanft. Er würde ihr gut tun, hatte man ihrem Gatten versichert. Er, der Gatte, war sich da nicht so sicher gewesen: Der Therapeut sah nicht nur gut aus, er hatte zudem Augen, in denen die russische Seele zu liegen schien, in Form des ganzen tiefen, klaren, blauen Baikalsees. Frauen würden darin baden wollen. Und er wirkte immer so fröhlich. Er, der Gatte, fand es unangemessen.
     
    |108| Als ihre Limousine um die Ecke bog, war sie froh festzustellen, so mitten im Leben zu wohnen. Andererseits hätte sie sich gern noch ein wenig weiterfahren lassen, um Abstand vom Tag zu bekommen. Doch der Abstand würde sich ja über Nacht sowieso sehr drastisch einstellen. Also gut. Der Wagen hielt vor der Haustür, es ging schnell, sie stieg aus, und die Limousine rollte um die nächste Ecke außer Sichtweite. Allein war sie dennoch nicht zwischen der ersten und der dritten Hauseingangstreppenstufe und dem Erreichen des Schlüssellochs. Nein, so einfach war nicht aus dem Schutzkokon zu schlüpfen. In diskreter Entfernung standen zwei Sicherheitsbeamte, die »Objektschützer« hießen und nicht sie, sondern in erhöhter Alarmbereitschaft ihre Umgebung abscannten. Dabei war doch gar nicht klar, von welchem Objekt mehr Gefahr ausging, von ihr selbst oder von ihrer Umgebung, dachte sie.
    Sie ließ den Haustürschlüssel wieder sinken und steuerte auf die Beamten zu, vorbei an einem Saxofonisten mit Fellmütze und an Spaziergängern in kurzen Hosen, die mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihr Haus zeigten. Je näher sie jedoch den wachhabenden Männern kam, desto bewegungsloser wurden diese, in Dienstpflicht und Ehrfurcht erstarrt in etwa einem Meter Sprechentfernung.
    »Pst«, machte sie und dachte im selben Moment: Wie blöd, wahrscheinlich habe ich die vorher nie angesprochen, und jetzt flüstere ich denen warm und feucht ein Pst ins Ohr. Einer der Beamten guckte so, als würde er genau das denken.
    »Haben Sie eine Waffe?« Sie würde jetzt aufs Ganze gehen. Es war der einfachste und effektivste Weg.
    Der Beamte schien aufzuatmen, löste die Anspannung, brachte sein Geehrtsein zum Ausdruck und ja, selbstverständlich habe er eine.
    |109| Geladen?
    Ja, sicher.
    »Könnten Sie die mir kurz leihen?«
    Der Beamte lächelte verlegen, schaute kurz zu seinem Kollegen, vermutete wohl einen Test: »Nein, das darf ich leider nicht. Das tut mir leid. Wir sind im Einsatz.«
    »Aber Sie wissen schon, wer ich bin?«
    »Jawohl.«
    »Da haben Sie mir immerhin einiges voraus. Und jetzt die Waffe, bitte.«
    Er wurde panisch, schien hin und her gerissen zu sein zwischen seinem und ihrem Auftrag. Auf solch einen Zwiespalt war er nicht vorbereitet, die Rechtslage war gelinde gesagt unübersichtlich. Eine Schweißperle kullerte langsam aus seiner Kappe Richtung Halskragen.
    Sie blieb direkt vor ihm stehen. Dass sie da jetzt so stand, das musste doch reichen, dachte sie. Wem um Himmels willen sollte er denn sonst seine Waffe geben, wenn nicht ihr? Sie war so nah am Ziel, so kurz davor, biss die Zähne aufeinander, dass man ihre Lippen kaum noch sehen konnte. »Hören Sie, Sie sind ein ganz schöner Existenzverkürzer.«
    »Entschuldigung.« Er schien allen Mut zusammenzunehmen: »Das ist nicht ganz ungefährlich. Ich möchte Sie dieser Gefahr nicht aussetzen.«
    »Ha, haben Sie eine Ahnung, welchen Gefahren Sie mich aussetzen, wenn Sie mir das Teil jetzt nicht geben?«
    Er schien ins Grübeln zu kommen, die Augen waren das Einzige, was er jetzt noch bewegte, an ihr vorbei von ganz links nach ganz rechts in den erweiterten Gefahrenradius. Er fand nichts, so sehr er sich auch anstrengte. Und je länger dieser Zustand andauerte, desto fester umklammerte er seine

Weitere Kostenlose Bücher