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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Bundesstaats Washington ziemliches Aufsehen erregt. Die Tatsache, dass Profiler des FBI von jeher nicht taktisch eingesetzt wurden, hatte man Grove im Laufe der furchtbar anstrengenden zweiundsiebzig Stunden der Genesung wiederholt vorgehalten. Zorn hinterließ eine Ex-Frau und zwei erwachsene Kinder in Texas, von denen Grove nichts geahnt hatte. Viel Aufhebens wurde von Groves und Zorns schon legendärer gegenseitiger Animosität und dem Konkurrenzkampf zwischen ihnen gemacht. Captain Ivan Hauser von der Violent Crimes Unit in Las Vegas hatte Aussagen darüber gemacht, wie heftig sich die beiden Profiler vor einer Woche in der Wüste gegenseitig an die Gurgel gegangen waren.
    Der Gedenkgottesdienst fand am Dienstagnachmittag statt. Grove erfuhr davon durch einen der Beamten von der Dienstaufsicht, der zu einer Aussage ins Traumazentrum gekommen war. Wie der Texaner es sich gewünscht hatte, wurde die Feier nur im kleinsten Familienkreis abgehalten. Zorns Leichnam wurde verbrannt, seine Asche den Kindern übergeben. In Quantico wurde ein Hilfsfonds eingerichtet, dessen Mittel auf Wunsch der Zorn-Familie der Kinderhilfsorganisation «Big Brothers of America» zugute kommen sollte. Grove ließ fünftausend Dollar von seinem Konto auf den Fonds überweisen.
    Freunde und Kollegen von Special Agent Terence Zorn waren nicht die Einzigen, denen sein Tod einen Schlag versetzte. Das Washington State Bureau of Investigation – eine der erstklassigen Ermittlungsbehörden des Landes – hatte einen großen Verlust erlitten: Es mobilisierte seine nach dem neuesten Stand der Technik ausgerüstete SWAT-Gruppe und dazu sämtliche mit ihr verbundenen bundesstaatlichen Dienststellen zur Verbrechensbekämpfung, um in einer in diesem Umfang noch nie da gewesenen Menschenjagd den flüchtigen Richard Ackerman zu stellen. Am Dienstagabend befand er sich noch auf freiem Fuß, aber den ganzen Tag über waren massenhaft Hinweise eingegangen. Ein verdächtiges Individuum war von einem Vertreter einer Bergbaugesellschaft an einer Tankstelle gesehen worden. Ackermans Nylonregenmantel war auf der Toilette einer Raststätte in der Nähe von Vancouver gefunden worden. Bei den Behörden befürchtete man, dass der Gesuchte mit der Eisenbahn oder gar im Flugzeug fliehen könnte, aber bisher war den Überwachungskräften an den Bahnhöfen und Flughäfen nichts aufgefallen. Sie würden ihn bestimmt finden. Daran zweifelte niemand. Ganz besonders nicht der Koordinator dieser Menschenjagd – Commander Harlan Simms. Es war Simms gewesen, der Ulysses Grove aus dem verlassenen Minenschacht herausgeschleppt hatte, und es war ebenfalls Simms gewesen, der die schattenhafte Gestalt Ackermans flüchtig gesehen hatte, als dieser kurz vor einem Herzstillstand gewesen war.
    All dieses Macho-Gehabe ging Grove auf den Geist und belastete seine Psyche. Kein Rachegedanke wütete in ihm, er hatte nicht das Bedürfnis, sich wieder der Jagd anzuschließen, und er hatte auch nicht das blutrünstige Verlangen, Ackerman zu schnappen. Er verspürte nur Grauen. Kaltes, verzweifeltes, lähmendes Grauen. Grauen und große Angst um sich, um die menschliche Rasse, um die Welt. Es war genau das krankhafte Gefühl von Leere, gegen das FBI-Profiler eigentlich immun sein sollten. Aber es hatte sich eingeschlichen – und es nahm Grove in seinem Krankenzimmer die Luft, als hätte sich ein schwerer Schleier über sein Gesicht gelegt.
    Vielleicht musste Grove jetzt dafür Tribut zollen, dass er im Laufe der Jahre mit so viel obszöner Gewalt und banalem Bösen aufgeräumt hatte. All dieser Hokuspokus, dass Grove der «eine» sei, der eine, hinter dem Ackerman her gewesen war – all das war jetzt Bestandteil von Groves privatem Grauen geworden. Am liebsten hätte er sich in ein Loch verkrochen und wäre gestorben. Er wollte nicht mehr reden. Er wollte keine Aussagen mehr machen und keine Erklärungen abgeben. Er wollte keine weiteren Wunden aufreißen. Vielleicht war es deswegen so unglücklich, als die Schwestern schließlich Maura County, die auf eigene Kosten aus San Francisco eingeflogen war, Zugang zur Intensivstation gewährten.
    Sie betrat an diesem Abend gegen achtzehn Uhr dreißig sein Zimmer.
    «Oh, mein Gott, was ist denn nur mit Ihnen geschehen», brachte sie heraus, als sie um die Tür schielte und dann vorsichtig ins Zimmer tapste. Sie trug wie fast immer verblichene Jeans und dazu eine Jeansjacke, ihr Markenzeichen. Sie hatte eine braune Einkaufstüte voller Mitbringsel

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