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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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unmerklichen Irritationen, die er in den Kurven wahrgenommen hatte, die leichte Gewichtsverschiebung in den mittleren Waggons. Er hatte den Verdacht, dass Landstreicher mitfuhren. Die blinden Passagiere alten Stils waren zwar in den letzten Jahren so gut wie verschwunden, aber seit kurzem sprangen Straßenkids unten aus den Südstaaten auf die Züge auf, rauchten Crack oder schoben eine Nummer oder machten einfach nur, was Tunichtgute eben so tun. Jurgens war jedenfalls von seinem Vorgesetzten aufgefordert worden, die Waggons sauber zu halten.
    Ein Geräusch in der Dunkelheit machte Jurgens hellhörig, und er verfiel in Laufschritt.
    Im zweitletzten geschlossenen Güterwagen, dem Waggon mit der gebrochenen Haspe und den Lücken zwischen den Verkleidungsleisten, hatte sich etwas gerührt, und als Jurgens näher kam, sah er, dass in der Dunkelheit Papierabfälle auf die Schienen flatterten. Zeitungsfetzen und Einwickelpapier von Nahrungsmitteln. Jurgens’ Herz klopfte schneller, und er wünschte, er hätte etwas Handfesteres mitgebracht als den geschnitzten Zweig, so etwas wie ein Brecheisen oder eine Schrotflinte. Denn in dem Moment bemerkte er das Blut. Im Mondlicht sah es schwarz aus, war über den Papiermüll gespritzt und kroch über die stumpf glänzenden Schienen. «WER IST DA?!», bellte Jurgens.
    Die beiden Kids im Güterwagen waren schon seit einiger Zeit tot und in die flehende Haltung von Bittenden gebracht worden, wie sie von Scholaren und Mönchen schon seit ewigen Zeiten eingenommen wird. Aber Jurgens sah sie erst nach einer Weile. Er war zu sehr mit dem blutbespritzten Abfall beschäftigt, der auf dem Kies des Gleisbetts und auf dem steinigen Bahndamm verstreut lag.
    Er kniete sich hin und sammelte einen Zeitungsstreifen auf, der von blutigem Sprühregen benetzt war. Die Schlagzeile lautete PROFILER IM DIENST GETÖTET. Unter dem Text befand sich ein offizielles Foto von Terry Zorn. Ein weiteres Foto zeigte einen zweiten Profiler, der bei der Schießerei verwundet worden war, doch der größte Teil des Bildes war weggerissen. Jurgens warf den Papierfetzen beiseite und griff nach einem anderen. Hierbei handelte es sich um die Spätausgabe von US TODAY, in der die beiden Profiler abgebildet waren. Groves Gesicht fehlte. Auf einem anderen Foto war die Außenansicht des Regal Motel zu sehen, einschließlich der Polizeiwagen, die kreuz und quer auf dem verwüsteten Parkplatz standen. Auch hier war ein Foto der beiden FBI-Profiler eingeklinkt, und wo sich Groves Kopf hätte befinden sollen, gähnte jetzt ein Loch im Bild. Und noch ein Foto, voller Blutflecken, auf dem Groves Gesicht fehlte.
    Noch eins und noch eins und noch eins. Und bei allen war Groves Gesicht herausgerissen.

Kapitel 19
Der Stoff, aus dem das Grauen ist
     
     
     
    Laut ärztlicher Diagnose bestand die gute Nachricht darin, dass die Kugel alle wichtigen Organe und Arterienverzweigungen verfehlt hatte. Sie hätte ihn ohne weiteres töten können, wenn sie seine Femoralarterie getroffen hätte, oder eine Querschnittslähmung bewirken, wenn sie sich durch seine Lendenwirbelsäule gebohrt hätte. Es war klar, dass der Schütze Grove nicht hatte töten, sondern nur gefährlich verletzen wollen, wahrscheinlich um ihn für Gott weiß was fügsamer zu machen. Groves andere Blessuren – größtenteils Biss- und Kratzwunden durch den Angriff des Bären – waren eher oberflächlich. Die tiefste Bisswunde war die in seinem Oberschenkel, und sie hatte eine schwerwiegende Gefäßverletzung und eine starke Blutung im Muskelgewebe verursacht. Dieser innere Blutverlust reichte aus, um einen schweren Schock und ein Delirium auszulösen. Eine Zeit lang hatten die Ärzte befürchtet, dass Grove wegen der tiefen Bisswunde an seinem Gelenk die linke Hand nie mehr würde gebrauchen können, aber glücklicherweise arbeitete im Traumazentrum von Olympia einer der besten plastischen Chirurgen des Landes. Mit der Physiotherapie wurde unmittelbar nach dem Aufwachen begonnen, und alle paar Stunden stand Grove aus dem Bett auf, um durchs Zimmer zu schlurfen. Sein fahrbarer Tropfständer war wie eine stocksteife und quietschende Tanzpartnerin ständig an seiner Seite. In Anbetracht der Schwere und der Vielzahl seiner Verletzungen bewegte er sich bereits erstaunlich gut. Offenbar hatte er den Vorfall einigermaßen gut überstanden – zumindest physisch.
    Zorns Tod hatte in allen Abteilungen des FBI, im Justizministerium und bei den Dienstaufsichtsbehörden des

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