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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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einer vorzeitlichen Mumie». Aber es war nicht der Text, der Grove störte. Ihm missfiel in erster Linie das dazu gestellte körnige Foto im Paparazzi-Stil ganz unten in der Ecke.
    Bis jetzt war es Grove irgendwie gelungen, ein Foto von sich aus der Sensationspresse herauszuhalten. Nun sah er eine mit Teleobjektiv gemachte Aufnahme von sich und Maura vor dem Marriott Courtyard in Alaska, die in genau dem Moment gemacht worden war, als er Maura um ein Rendezvous gebeten hatte. Auf dem Foto lächelte Grove befangen, ins intime Gespräch mit der jungen Journalistin vertieft.
    Sie sahen aus wie ein Liebespaar.
    «Na toll, ist ja wirklich toll», grummelte Grove.
    Maura County sah aus, als wollte sie etwas ganz anderes sagen, drehte sich aber stattdessen zur Seite und schaute mit leerem Blick in das Dämmerlicht, das durch den zugezogenen Vorhang schimmerte.
    Michael Okuda kam sich vor wie ein Straßengauner, als er in der Seitengasse hinter dem Olympia General Hospital umher schlich. Er vergrub die Hände in die Taschen seiner verlotterten Cargohosen und zog die Schultern ein, um sich ein wenig vor dem kalten Frühlingswind zu schützen. In der Jeansjacke mit dem ausgefransten Kragen, mit dem seidig dünnen schwarzen Haar, das vom unruhigen Schlaf verschwitzt und zerzaust war, hätte man den jungen Wissenschaftler leicht mit einem Speedfreak verwechseln können, der ungeduldig darauf wartete, dass sein Dealer auftauchte. Tatsächlich kam diese Vermutung der Wahrheit ziemlich nahe. Okuda war drogensüchtig, er wartete darauf, eine Art Schmuggelware zu kaufen, und er war im Laufe der letzten Tage von seltsamen Kontaktpersonen belästigt worden, die ihn schließlich auf eine unerwartete Reise in den Norden nach Olympia, Washington, geschickt hatten, wo er sich jetzt verhielt wie ein ordinärer Stadtstreicher.
    «He!»
    Die Stimme kam aus der Tiefe der Gasse, wo sich der Lieferanteneingang des Krankenhauses befand. Ein bulliger schwarzer Krankenpfleger in schmutziger weißer Uniform und mit einem Haarnetz auf dem Kopf kam mit schnellen Schritten auf Okuda zu. Er machte ein wütendes Gesicht. In der Hand hielt er einen dieser Spezialbeutel für gefährliche Stoffe.
    «Hast du es?», fragte Okuda, zitternd vor Kälte.
    «Dachte, du wolltest im verdammten Wagen auf mich warten», schimpfte der Pfleger, als er näher gekommen war. «Könnte meinen Job verlieren, Kerl. Wenn uns jemand sieht.»
    «Mach dir keine Sorgen.»
    Der Pfleger überreichte Okuda den Beutel mit dem Zipverschluss. «Komm schon, reiß ‘n paar Benjamins raus.»
    Okuda bezahlte den Mann – zwei nagelneue Hundert-Dollar-Scheine – und nickte ihm kurz zu. Der Pfleger drehte sich um und joggte ohne ein weiteres Wort davon. Okuda stopfte den Beutel in die Tasche und eilte zur Mündung der Seitengasse.
    Sein pockennarbiger Toyota Tercel stand mit laufendem Motor auf der anderen Straßenseite. Zwei ältere Herren saßen auf dem Rücksitz wie wachsame Eulen und beobachteten stumm, wie Okuda sich ihnen näherte. Okuda rutschte hinters Lenkrad und händigte dann über die Rückenlehne hinweg den Beutel an Professor Moses De Lourde aus.
    Der Südstaatler, wie immer herausgeputzt in einem eleganten weißen Anzug, schürzte die Lippen, als er auf die blutbefleckte Gaze schaute. ‹«Sie haben ihre Roben gewaschen, auf dass sie weiß würden im Blut des Lammes›», zitierte er leise vor sich hin.
    «Sollten wir nicht zuerst mit Grove sprechen», fragte Okuda eher rhetorisch.
    De Lourde winkte ab. «Es gibt keinen Grund, den Mann in Unruhe zu versetzen, bevor wir nicht mehr haben als nur eine Theorie.»
    «Sind Sie sicher, dass dies hier reicht, um eine Sequenz zu erhalten», fragte der alte Priester, der neben De Lourde saß.
    Okuda versicherte ihm, dass es reichte, legte den Gang ein und fuhr los.

Kapitel 20
Uneingeladen
     
     
     
    Die Gestalt stand in der Tür wie ein Schattenbild, dessen Umrisse das Neonlicht des Krankenhauskorridors zeichnete. Zuerst dachte Grove, er träume noch. Das Geräusch der sich öffnenden Tür hatte ihn geweckt, aber es war noch kein Wort gefallen.
    Sogar als Schatten im Gegenlicht kam ihm die Gestalt vertraut vor: eine Frau, die dort auf der Türschwelle so stumm und regungslos stand wie ein Reh. Der anmutige Schwung ihres langen Halses, das aufgetürmte Haar, die birnenförmigen Rundungen ihrer matronenhaften Hüften – alles wirkte so vertraut. Grove wollte ihr etwas zurufen, aber aus unerfindlichen Gründen hatte er seine Lippen

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