Die Eismumie
nichts, vielleicht, vielleicht –
Wieder die Treppe hinauf zur Tür. Er hatte jetzt stechende Rückenschmerzen, und seine Wunden fühlten sich taub an. Wieder klopfte er an die Tür. Diesmal lauter. «Maura, Ulysses ist hier! – SIND SIE DA?! MAURA!?»
Nichts.
Grove stemmte die Fliegentür auf und trat dann mit seinem 300-Dollar-Armani-Schuh gegen die innere Tür. Ein Knacken und ein heftiger Schmerz in der Hüfte. Die Tür hielt. Noch ein Tritt, und sie gab nach. Grove war in der Wohnung.
Das Blut schrie ihm entgegen. Es war überall. Der Schock ließ ihn niederkauern. Ließ seinen Hodensack schrumpfen. Seine Pupillen weiteten sich.
Er wusste sofort, dass die unaufgeräumte Wohnung menschenleer war, und spürte zudem eine Spannung – als wären die Staubflocken erstarrt in der Luft hängen geblieben.
Angsterfüllt blickte Grove überall gleichzeitig hin, sah aber so gut wie nichts außer den Blutspuren.
«MAURA! MAURA!»
Sein Ruf schlug von den geschändeten Wänden zurück und erstarb.
Was sollte er tun? Er schluckte. Er versuchte, konzentriert zu denken: Beruhige dich und sieh dich um, sieh dir alles genau an, das ist jetzt deine Aufgabe, sieh dich um und erkenne wichtige Einzelheiten, rekonstruiere, was geschehen ist, und zwar jetzt sofort, rekonstruiere – REKONSTRUIERE!
Er schaute sich hastig in dem bescheidenen Wohnzimmer mit den Backsteinwänden und dem Hartholzfußboden um, mit den gerahmten Postern von Johnny Rotten und Jane Goodall, und erkannte sofort Anzeichen eines Kampfes: eine umgestürzte Lampe, ein umgeworfener Couchtisch, überall waren Bücher verstreut. Das Blut an den Wänden war zu handgeschriebenen Kritzeleien geronnen, die keine Wörter, aber doch auf fürchterliche Weise Sinn ergaben.
Sein Blick verharrte auf einer blutbesudelten Zeitung auf dem Fußboden. Es war die Weekly World News mit dem Artikel über Grove und den Eismann. Auf dem Foto in der unteren rechten Ecke war Maura Countys Gesicht trotz der scharlachroten Flecken deutlich zu erkennen.
Schlagartig wurde Grove vieles klar, und wie benommen stand er da, die Waffe in beiden Händen. Er zitterte am ganzen Körper, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. O mein Gott, o mein Gott, tu mir das nicht an, bitte nicht!
Er musste die anderen Zimmer inspizieren.
Grove holte tief Luft und bewegte sich langsam seitwärts voran, ohne die Füße zu heben. Den erhobenen Revolver bewegte er ruckartig nach links und rechts, als befände er sich in einem Kampfgebiet. Durch die nächstgelegene Tür in die Küche: Der Kühlschrank stand offen. Eine ganze Kartonfüllung Eier lag zerbrochen auf den Fliesen. Sonst nichts Auffälliges.
Im Schlafzimmer fand Grove weitere Schmierereien auf den Wänden vor – Wörter in derselben absurden und unverständlichen Sprache –, das Mobiliar in völliger Unordnung. Aber keine Leiche. Gott sei Dank keine Leiche.
Gott sei Dank.
Als er im Badezimmer war und sah, dass die Türen des Medizinschranks offen standen und die kleinen Fläschchen zerbrochen im Waschbecken lagen, stand für ihn fest, dass Ackerman all das angerichtet hatte. Dieses Dreckschwein hatte Maura durch den Zeitschriftenartikel aufgespürt, war hergekommen, hatte sie entführt und folterte sie wahrscheinlich in ebendiesem Moment, wenn sie nicht schon…
NEIN! Grove unterdrückte diese Vorstellung und blieb einen Augenblick unter der Badezimmertür stehen. Er atmete schwer und hielt den Revolver noch immer in beiden Händen.
Das Schlimmste, das, was Grove beinahe die Luft abschnürte, war der Gedanke, dass wahrscheinlich alles seinetwegen geschehen war. Es handelte sich um eine kranke und verschlüsselte Botschaft an ihn. Ackerman wollte ihn.
«DU DRECKSCHWEIN –!!»
Groves Urschrei ließ die Luft erbeben, ließ ihn erbeben und brachte beinahe eine Ader in seinem Kopf zum Platzen. Er bekam keine Luft, stand zitternd da, verzweifelt bemüht zu entscheiden, was er als Nächstes tun sollte. Die Polizei rufen? Nein. Die örtliche Außenstelle des FBI? Niemals. Noch nicht. Erst wenn er das hier in den Griff bekäme, sich in den Griff bekäme, seine Gefühle in den Griff bekäme.
Kapitel 23
Kalte Verbindung
Er lief im Wohnzimmer auf und ab und versuchte, seine Ermittlerinstinkte einzusetzen. Bevor er die Kriminaltechniker holte, bevor er diesen Schauplatz zu einem Zirkus machte, musste er die frischen Spuren sichern, alles sammeln, was er entdecken konnte. Schließlich ging er wieder hinüber zur
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