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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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muss anders anfangen. Father Carrigan hatte eine Theorie. Also haben wir uns im Krankenhaus eine Blutprobe von Ihnen besorgt und eine DNA-Sequenz davon machen lassen – »
    Grove umklammerte das Handy so fest, dass es fast zerbrochen wäre. «Sie haben was? WAS?»
    «Ulysses, hören Sie mir bitte zu. Sie stimmt überein. Sie passt hundertprozentig auf Keanus DNA. Haben Sie mich verstanden? Hallo?»
    «W-was?»
    «Ich weiß, dass es schwer zu glauben ist. Aber die DNA lügt nie. Tatsache ist, dass Sie ein genetischer Nachfahre sind.»
    Grove war wie versteinert. «Ein was?»
    Die Stimme quäkte: «Ein genetischer Nachfahre – der Mumie. Davon spreche ich.»
    Grove sagte nichts.
    «Sie haben dieselbe verdammte DNA, Ulysses. Womit ich irgendwie auf die Theorie von Father Carrigan zurückkomme. Sind Sie bereit? Ulysses?»
    Grove starrte auf den Fußboden – auf das Handwerkszeug des Ermittlers, das aus dem Aktenkoffer herausgefallen war.
    «Ulysses? Sind Sie noch da?»
    Grove konnte nicht sprechen. Er war zu nichts anderem in der Lage, als auf den Koffer zu starren, der verkehrt herum auf dem Boden lag.
    Die Notizbücher mit Spiralbindung lagen dort, die Umschlagseiten voller kryptischer Kugelschreiberkritzeleien, der Palm Pilot aufgeplatzt wie ein zertretener Käfer, die Baumwollhandschuhe mit gespreizten Spinnenfingern, in der Ecke der Beutel mit dem Talisman.
    Die Verbindung klickte plötzlich in Groves Bewusstsein ein und riss ihn aus seinem Gefühlstaumel.
    «Er hat jemanden gejagt», flüsterte er. Seine Stimme erstarb beinahe, während er auf seine persönliche Habe schaute, die ausgebreitet vor ihm lag.
    Die Stimme in seinem Ohr: «Was haben Sie gerade gesagt?»
    Ulysses sprach sehr leise: «Er war Ermittler. Genau wie ich. Sie alle waren es. Die Mumien – sie jagten Mörder genau wie ich.»
    Nach einer langen, langen Pause meldete sich wieder Okudas Stimme: «Wie zum Teufel haben Sie das herausgefunden?»

Kapitel 24
Vermächtnis
     
     
     
    Groves Fähigkeit zu assoziativen Gedankensprüngen war bei den Insidern im FBI legendär. Sein Gehirn schien visuell gepolt zu sein. Als er noch nicht mal zwei Monate alt war, bemerkte Vida bereits, wie deutlich er Formen und Farben wahrzunehmen vermochte. Beim Militär erzielte er bei den psychologischen Tests «Thematische Apperzeption» und «Symbol – Bild – Symbol» Ergebnisse, die jeden Rahmen sprengten. Groves visueller Scharfsinn erreichte Mitte der neunziger Jahre seinen Höhepunkt. Er überführte Keith Hunter Jespersen, nachdem er auf einen Smiley-Aufkleber an der Wand einer Tankstellentoilette geschaut hatte. Er führte die Polizei zu Anatoli Onoprienko, nachdem er den Ehering am Finger einer Prostituierten betrachtet hatte. Nie erläuterte er die makabren Schattenspiele, die in solchen Momenten vor seinen Augen abliefen. Nie erzählte er jemandem beim FBI von seinen Visionen. Er bediente sich der Visionen und Traumbilder, wie ein Mathematiker Gleichungen benutzt. Und ein Magier die Runenschrift.
    Als er in der blutbesudelten Wohnung stand und unverwandt auf den Inhalt seines Aktenkoffers blickte, der verstreut auf den Holzdielen lag, wurde Grove abermals von einer visuellen Offenbarung heimgesucht.
    Die vielen losen Enden aus den vergangenen Monaten tanzten in seinem Gesichtsfeld wie eine graphische Animation sich windender DNA-Stränge – die Schwindelanfälle, die an jedem Tatort auftraten, die seltsame Vertrautheit mit einer Mumie aus der Kupferzeit, die immer wiederkehrende Vision, im Körper eines neolithischen Bergsteigers zu wohnen, das unerklärliche Verhalten von Richard Ackerman und die aberwitzigen Tiraden eines exzentrischen Jesuitenpriesters. Im Kinosaal seines Gehirns sah Grove, wie die Gegenstände auf dem Fußboden in wundersamer Weise neue Gestalt annahmen, als seien sie aus Kerzenwachs geschnitzt. Sie schmolzen und formten sich wieder, nahmen die Konturen jener urzeitlichen Artefakte an, die er auf dem Untersuchungstisch im Schliemann-Labor gesehen hatte.
    Ein Kugelschreiber wurde zu einer Pfeilspitze aus Onyx. Ein Notizbuch mit Spiralbindung verwandelte sich in ein gewundenes Stück Birkenrinde. Baumwollhandschuhe wurden zu Büscheln aus getrocknetem Gras. Ein Palm Pilot war plötzlich ein Eidechsenfuß, und ein .357er Magnum Revolver sah aus wie ein Feuersteindolch mit einem Griff aus Eschenholz. Schließlich sah Grove auf seiner inneren Leinwand, wie ein letzter Gegenstand mutierte: Ein alter Schlüsselanhänger, den Hannah ihm als

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