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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Vordertür.
    Sorgfältig darauf bedacht, bei neugierigen Nachbarn keinen Argwohn zu wecken, schlüpfte er nach draußen und stieg die schmale Treppe hinunter. Die nasskalte Luft traf sein Gesicht wie eine höhnische Ohrfeige. Er ging zum Auto.
    Mit bebenden Händen grub er den Aktenkoffer aus dem Kleidersack. Sein Werkzeug befand sich darin – und das brauchte er jetzt. Er brauchte es, um nachzudenken.
    Wieder die Stufen hinauf. Wieder ins Haus. Das laute Einrasten des Riegels sperrte ihn in die schauerliche Totenstille.
    Die Schrift an der Wand verstörte ihn am meisten und nahm ihn gleichzeitig gefangen. Er schaffte es, die Vorstellung von Mauras Blutverlust abzuwehren, obwohl eine Erkenntnis die brodelnden Ströme seines Bewusstseins umkreiste wie ein fressgieriger Hai – dass es ihr Blut war, das dort an den Wänden und überall auf dem Fußboden klebte.
    Es war eine ganze Menge Blut.
    Die Schrift war zum größten Teil unleserlich – zornige rote Striche, verwischte Flecke und Zufallsmuster aus Blutspritzern –, aber einige der hingeschmierten Wörter oder Wortfragmente, die sich wie karmesinrote Bänder auch über Stuck und Fußleisten zogen, schlugen in Groves Erinnerung eine Saite an: un una gu susa unna se enu un enuna –
    – dieselben Diphthonge und Zischlaute, die das faulige Maul eines Irren in einer Höhle ausgespien hatte. Silben ohne Sinn? Irrwitziger Schwachsinn oder etwas Wichtiges? Groves überreizter Verstand glich einem Motor, der nicht anspringen wollte, sondern hektisch durchdrehte, ohne Treibstoff, ohne Öl.
    Nur mit der Ruhe, ganz ruhig jetzt, denk nach!
    Er sollte ein paar Tatortfotos machen. Ja, das wäre angebracht. Er kniete sich auf einen der blutigen Perserteppiche und schob die Waffe hinter seinen Gürtel. Er fingerte nervös an den Schnallen seines Aktenkoffers.
    Und erstarrte.
    Der Koffer vibrierte. Als sei er voller aufgeregter Bienen. Und einen absurden Moment lang hatte Grove tatsächlich Angst, den Koffer zu öffnen.
    Dann fiel ihm wieder ein, warum der Koffer vibrieren konnte. Er balancierte ihn unsicher auf einem Knie und öffnete ihn mit zitternden Händen.
    Sein Handy sagte ihm, dass zwei Nachrichten auf ihn warteten. Es brummte wie ein Haarschneider. Grove ergriff es und warf es quer durchs Zimmer.
    Das Handy prallte gegen die Wand, zerbrach aber nicht. Es rutschte unter die Couch.
    Er tastete nach den Gummihandschuhen. Schmerzende Sekunden, als er sie über seine verletzten Hände zog. Er blutete. Der Koffer kippte um und eines der Notizbücher fiel zu Boden.
    «VERDAMMTE SCHEISSE!»
    Er schleuderte den Aktenkoffer durchs Zimmer. Der drehte sich in der Luft und rutschte verkehrt herum über den Holzfußboden. Sein Inhalt ergoss sich auf die Dielen – PDA, Notizbücher, Kassettenrekorder, Baumwollhandschuhe, Aktenhefter, Polaroidkamera, der Glücksbringer in seinem kleinen Beutel.
    Grove schlug die Hände vors Gesicht und schluckte das Bedürfnis hinunter, laut aufzuschreien.
    Ein Geräusch schreckte ihn auf.
    Sein Handy zwitscherte unter der Couch.
    Grove atmete tief durch. Schluckte Magensäure. Wappnete sich. Etwas Kaltes und Spitzes bohrte sich ihm in den Unterleib. Wieder Intuition? Du solltest das Gespräch annehmen. Eine unerbittliche, ironische Stimme tief in seinem Inneren: Ackerman ist dran, du Idiot, er beobachtet dich, du musst rangehen!
    Er rappelte sich hoch, schaffte es, sich durchs Zimmer zur Couch zu schleppen, sich zu bücken und das Telefon hervorzuholen. Es vibrierte auf seiner behandschuhten Handfläche.
    «G-grove», krächzte er, nachdem er mit dem Daumen auf die Antworttaste gedrückt hatte.
    Die Stimme klang schrill und vertraut: «Ulysses, Mann, wir versuchen schon seit Stunden, Sie zu erreichen. Ich bin’s, Mike Okuda, wo waren Sie denn?»
    «Wer?»
    «Michael Okuda, aus dem Schliemann-Labor, tut mir Leid, aber es ist so, dass wir eine erstaunliche – ich weiß nicht, wie man es nennen sollte – am besten wohl – Entdeckung – gemacht haben. Hallo? Sind Sie noch dran? Können Sie mich hören?»
    Grove konnte kaum sprechen. «Wer ist wir?»
    «Was? Oh, äh, Entschuldigung, wir reden von mir und Professor De Lourde sowie Father Carrigan von der Konferenz, von Mauras Treffen.»
    Grove sagte: «Und was wollen Sie? Ich muss Schluss machen, ich stecke hier in einer – »
    «Hören Sie, ich weiß, dass wir vielleicht zu weit gegangen sind, aber wir mussten sicher sein, verstehen Sie, bevor Sie dieser Spur folgten, okay? Also… hören Sie, ich

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