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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Journalisten oder Lohnschreibern, die in den kommenden Jahren über den Fall berichteten – niemals erfahren sollten, war, dass Grove nicht ein einziges Mal an seiner Theorie zweifelte. Niemals hinterfragte er seine Überzeugung. Selbst als er in dem kleinen Propellerflugzeug saß, dessen Motoren so laut dröhnten, dass die Flugbegleiterin schreien musste, um zu fragen, ob jemand noch eine Tüte Erdnüsse wünschte. Nicht ein einziges Mal zog Grove in Erwägung, dass er sich eventuell irrte.
    Der Spätflug nach Anchorage kann Neulingen schier endlos vorkommen. Fünf qualvolle Stunden lang rüttelt und taumelt und giert so ein Turbo-Prop-Flugzeug auf einem Nordwestkurs im schwarzen Himmel über Vancouver, schwenkt dann nach Norden über die Wildnis des Cariboo-Chilcotin-Küstengebirges, fliegt am Westrand von British Columbia entlang und überquert schließlich ein Stück des riesigen schwarzen Pazifiks, bevor es seinen Sinkflug in den Alaska-Luftraum über den Aleuten beginnt.
    In einer hinteren Reihe der Business-Klasse auf einem Gangplatz angeschnallt, bemerkte Grove kaum, wie die Zeit verging.
    Er hatte sich ganz in sich zurückgezogen, studierte die Karten, die Okuda für ihn erstellt hatte, dachte über Maura nach und betete, dass sie noch am Leben sein möge.
     
     
    Sie kämpfte gegen den Mahlstrom ihres ureigenen schwarzen Ozeans, mühte sich verzweifelt, mit dem Gesicht die Wasseroberfläche zu durchstoßen, sich die Lungen mit Luft voll zu pumpen, aber es war sehr schwierig, sehr schwierig, und es kam ihr stattdessen in den Sinn, einfach aufzugeben – statt weiterzuleben, statt zu kämpfen, würde sie einfach hinunter sinken in die kalten, leeren Tiefen.
    Irgendwo in einem abgelegenen Winkel ihres Bewusstseins registrierte sie jedoch, dass sie gar nicht unter Wasser trieb. Sie befand sich in einem Fahrzeug. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten, von Rost zerfressenen Boden eines Transporters, nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ihre Ellbogen, ihre Brüste und ihr Bauch klebten in der Lache ihres trocknenden Blutes auf dem Boden.
    Hilflos klebte sie im Blut, und am Steuer des Lieferwagens, der über die Serpentinen einer Bergstraße ratterte, saß ein Wahnsinniger. Sie spürte, dass sie tiefer und tiefer in die Leere sank. Sie wusste, dass sie sterben würde. Einerseits staunte sie darüber, dass sie so lange überlebt hatte und bis jetzt halbwegs bei Bewusstsein geblieben war. Andererseits fragte sie sich, ob ihr Entführer genau wusste, wie lange sie überleben sollte.
    Der Wahnsinnige schien alles exakt geplant zu haben – die Art und Weise, wie er sie in ihrer Wohnung überrascht hatte und wie er sie zwar gefesselt, aber doch Sorge dafür getragen hatte, dass sie die meiste Zeit bei Bewusstsein geblieben war. Sie kam sich vor wie ein Lamm, das für die Schlachtbank vorbereitet wurde. Er hatte ihre Finger und ihre Kopfhaut aufgeritzt, um das Opferblut fließen zu lassen, aber sorgfältig darauf geachtet, dass keine wichtige Arterie verletzt wurde. Und wie er unaufhaltsam vor sich hin gebrabbelt hatte.
    Einige der Wörter hatte sie erkannt, die aus der uralten Sprache – Sumerisch –, und sie wusste noch etwas anderes. Sie wusste, wer dieser Unhold war und wozu er fähig war, und sie wusste, dass er für sie den Opfertod vorgesehen hatte. Aber jetzt, da sie machtlos dem Tod entgegentrieb, war einer ihrer letzten Gedanken: Warum die lange Reise, und wohin brachte sie dieser Unhold?
    Sie sann noch über eine Antwort nach, als sie Sirenen hörte.
    Zuerst kamen sie aus weiter Ferne, wie in einem Traum, und sie musste sich sehr anstrengen, um sie zu hören. Sie klangen fast so wie das Weinen vieler Babys – eine alberne Vorstellung zwar, aber doch genau ihr Eindruck – whäääääää-bhäääääää-whäääääää. Bildete sie sich dies Geschrei nur ein?
    Sie litt unter einem Schock, aber ein großes Problem war auch die Kälte. Sie zitterte, und ihr Erfrierungstod stand kurz bevor. Sie wollte einfach nur einschlafen und nie wieder aufwachen. Sie konnte nicht mehr sonderlich gut hören, aber der Lieferwagen fing jetzt zu rumpeln an, wurde immer schneller, schwankte und schaukelte heftig. Daraus schloss sie, dass die Sirenen echt waren. Sie waren echt und kamen näher.
    Sie verfolgten den Wahnsinnigen.
    Sie blinzelte, schluckte und bewegte den Kopf, erwachte auf dem Boden des Lieferwagens wieder zum Leben, entnervt von den Geräuschen der

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