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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Verfolgungsjagd. Sie konnte nur sehr wenig sehen: die Innenwände, die von dreckigen Lappen bedeckt waren, die Farbeimer, einige davon offen und umgekippt – die regenbogenbunten Farben, Terpentin und Leinöl vermischten sich mit ihrem Blut zu einem eigentümlich marmorierten Sirup, der in die Schweißnähte des bitterkalten Bodens rann.
    Der Van ging scharf in die Kurve, und sie rollte zur Seite. Das getrocknete Blut, in dem sie klebte, riss ihre Haut auf. Rums! Sie prallte gegen eine Seitenwand und sah Sterne. Sie rang nach Luft. In ihren Ohren sauste es. Der Van schien auszubrechen, das Heck geriet ins Schleudern. Offenbar setzte der Wahnsinnige alles daran, den jaulenden Sirenen zu entkommen – whäääääääää-bhäääääääääääääääää!
    Sie lag auf dem Rücken. Fand Halt an einer Seitenverkleidung. Ihre Hände waren taub und schwarz von getrocknetem Blut. Sie klammerte sich verzweifelt fest. Die Fahrt wurde jetzt holprig – der Motor heulte auf, das Chassis wurde durchgerüttelt. Es ging über Felsbrocken, durch Schlaglöcher und über Äste.
    Die Sirenen verklangen. Hatte er die Verfolger abgeschüttelt? Der Van nahm eine Haarnadelkurve, und sie rutschte nach hinten gegen die Hecktüren. Jetzt ging es steil hinauf. Wieder eine Kurve. Noch steiler. Wohin fuhr er, verdammt? Sie versuchte, sich am Boden festzuhalten. Wohin wollte er sie bringen? Irgendein schwacher Geruch stieg ihr in die Nase – Kiefer? Moder? Die Berge? Brachte er sie in die Berge?
    Die Berge – warum waren Berge so wichtig? Sie konnte sich nicht entsinnen. Konnte keinen klaren Gedanken fassen. Konnte nicht sehen. Konnte nicht atmen. Der Lieferwagen wurde langsamer. Die Sirenen waren nicht mehr zu hören. Stille legte sich über den Laderaum. Es wurde knirschend runtergeschaltet. Der Wagen stoppte.
    Schleppende Schritte – er kam um den Wagen herum.
    Die hinteren Türen wurden aufgerissen.
    Maura County torkelte über den schneeverkrusteten Asphalt und fiel hin. Der Aufprall und der Kontakt ihrer bloßen Haut mit dem harschen Eisbelag waren so heftig und schmerzhaft, dass sie das Gefühl hatte, als würde ein Feuerwerk unter ihrer Schädeldecke abgebrannt. Sie keuchte, lag einen Moment regungslos da, zitterte in der Dunkelheit, rang nach Atem. Ihr fast nackter Körper war gefühllos, ihre Hände waren noch immer auf dem Rücken gefesselt. Der Himmel war verborgen hinter den Skeletten der Kiefern, deren Zweige sich wie flehende Arme in die Höhe reckten und in die schwarzen Wolken klammerten. Der Wahnsinnige ragte über ihr auf wie ein grässlicher Golem.
    Sie schloss die Augen. Sie wusste, dass ihre Stunden gezählt waren. Sie würde irgendeinem geheimnisvollen Gott geopfert werden – ihr Blut das Medium, ihr Körper die Botschaft. Welch passende Art für eine Wissenschaftsjournalistin, sich von dieser Welt zu verabschieden: Die Spur ihrer Existenz transsubstantiiert in Botschaften aus dem Jenseits.
    In diesen letzten Augenblicken, in Erwartung des Todes, rasten Mauras Gedanken lächerlicherweise zurück über all die Jahre gescheiterter Liebesbeziehungen. Sie hatte es mit niemandem zur Erfüllung gebracht. Wie jämmerlich. Die Träne auf ihrer Wange brannte im kalten Wind, und sie dachte an Grove.
    Es würde vielleicht zu einer Verbindung mit ihm kommen, aber erst im Tod – wie perfekt. Zumindest trug sie ihren schönen BH und das dazu passende Höschen aus Bali. Ihre Mutter hatte immer gesagt: Lass dich auch im Sarg nicht in hässlicher Unterwäsche erwischen. Maura lag im Dunkeln auf der Straße, schluchzte laut und wartete darauf, dass eine kalte Klinge sie vom Schmerz erlöste.
    Aber nichts geschah.
    Maura öffnete die Augen und sah das Monster an den geöffneten Türen des Vans stehen. Sein Gesicht war im Schatten vergraben. Unlesbar. Dann blitzte etwas auf – ein gelber Funken von einem Gasfeuerzeug. Eine Flamme zuckte über Ackermans Gesicht. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
    Seine Zähne schimmerten wie Maden.
    Er hielt eine Wasserflasche in der Hand, die bis zur Hälfte mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt war und in der ein Stofffetzen als Docht steckte, der orangefarben brannte. Der Wahnsinnige schien sich einen Molotowcocktail gebastelt zu haben. Er warf ihn ganz lässig über die Schulter, und die Brandbombe landete in dem mit Farben gefüllten Lieferwagen, wo sie über den Stahlboden und Pfützen aus Blut und Terpentin schepperte.
    Maura begann wegzukriechen. Ackerman wirbelte herum und verschwand

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