Die Eismumie
vielleicht war klemmte das falsche Wort. Sie gab ein klein wenig nach, als Olivia dagegen drückte, und es knirschte, als sei an der unteren Kante etwas eingetrocknet und verkrustet. Sie konnte sich an die Zeit entsinnen, als ihr Jüngster, Ramon, noch ein Kleinkind gewesen war und die Küchentür ihrer kleinen Wohnung oft ebenso schwer zu bewegen war – verklebt von Ei und Saft und Backpflaumenmus.
Schließlich gab die Tür nach, und Olivia Mendoza betrat die dunkle Lobby.
Sofort roch sie etwas Ungewöhnliches, etwas, das sie an diesem Ort noch nie gerochen hatte – und wenn es eines gab, womit Olivia Mendoza sich auskannte, dann waren es Gerüche. Es war ein herber mineralischer Geruch, der in der stickigen Lobby zu hängen schien. Olivia schüttelte die Regentropfen von ihrem Schirm und stellte ihn ab. Es herrschte Chaos: Tinte oder Erbrochenes oder Gott weiß was sonst noch war in breiten Streifen über die Wände und den Teppich verschmiert. Diesmal hat es der alte Furz zu weit getrieben, dachte Olivia, während sie sich in dem düsteren Raum umsah und wieder dieses knirschende Geräusch unter den Füßen hörte. Sie senkte den Blick, und ihr Herz schlug sofort schneller.
Blut.
Das war es also, was unter der Tür klebte, und das war es, was unter den Kreppsohlen ihrer weißen Schuhe klebte und leise knisternde Geräusche machte, wenn sie sich bewegte oder von einem Fuß auf den anderen trat. Blut, um Gottes willen! Olivias Gedanken überschlugen sich. Pete Bowden musste sich am Abend zuvor so hemmungslos betrunken haben, dass er gestürzt war und sich die Zähne ausgeschlagen hatte, oder vielleicht war er zu guter Letzt doch gewalttätig geworden, hatte zum Schälmesser gegriffen und seine kranken Frustrationen an Evelyn ausgelassen, oder es hatte einen Streit gegeben, ja, das musste es gewesen sein, aber, mein Gott, das war aber eine Menge Blut, sogar für eine Kneipenschlägerei. Nun sieh sich einer die Wände an und den Fußboden! Vielleicht wäre das mit grobem Salz und Club Soda wegzukriegen – vielleicht – aber, guter Gott – nun sieh sich einer die Streifen auf dem Teppich an – o mein Gott – der Teppich!
Der Plastikwagen kippte um, und Sprühdosen mit Desinfektionsmittel rollten über den Boden.
Etwas ließ die Putzfrau erstarren. Ein Schrei steckte in ihrer Kehle, und ihr Mund war so trocken wie Knochenmehl. Wie festgewurzelt blieb sie auf den klebrigen Kacheln nahe der Tür stehen, blickte entgeistert auf die blutbesudelte Lobby und rang nach Luft. Sie zwang ihre Beine, sich zu bewegen. Sie zwang sie dazu, in Richtung Rezeption zu gehen, quer durch den Raum, vielleicht vier Meter weit. Langsam und verkrampft folgte sie den Schleifspuren um die Ecke des Tresens.
Die Leichen lagen säuberlich ausgerichtet hinter dem Tresen, angelehnt an die Fußleiste.
Olivias Hand schoss hinauf vor ihren Mund und blieb zitternd auf den Lippen liegen. Sie starrte auf das Leichenpaar – den dünnen Mann und die schwergewichtige Frau. Sie waren sorgsam in identische Posen gerückt worden und hielten ihre Arme in die Höhe gereckt. Ihre aschfahlen Gesichter waren verzerrt, das graue Fleisch von teerschwarzem Blut marmoriert. Ihre Hinterköpfe waren in Lachen schwarzer, glasiger und erhärteter Masse am Boden festgeklebt.
Jetzt schrie Olivia Mendoza, aber seltsamerweise brachte sie nur ein heiseres Wimmern hervor, das nach dem verzweifelten Ruf eines tödlich verwundeten Vogels klang, und ihre zitternde Hand griff blind zum Tresen.
Ihre Finger fanden das Telefon, tasteten nach dem Hörer und stießen ihn von der Gabel.
In den darauf folgenden Tagen und Wochen wurde viel Aufhebens darum gemacht, wie schnell – oder, besser gesagt, wie langsam – die offizielle Untersuchung des Massakers im Regal Motel an jenem Morgen ins Laufen kam. Normalerweise wäre das Police Department von Portland für ein so schwerwiegendes Gewaltverbrechen in einem der Randbezirke der Stadt zuständig gewesen. Aber das Motel stand kurz hinter der Staatsgrenze, in Washington, und daher ergaben sich alle erdenklichen Komplikationen.
Vancouver, zehn Meilen nördlich, war die nächstgelegene Stadt mit so einer Mordkommission, aber die Techniker der Spurensicherung mussten eigens aus Olympia kommen, fast hundert Meilen entfernt. Dadurch kam es zu einer erheblichen Verzögerung zwischen der Ankunft des ersten Streifenpolizisten am Tatort – eines recht unbedarften Deputys aus der Mannschaft des County-Sheriffs – und dem Zeitpunkt,
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