Die Eismumie
Strom gesetzt, um einen Mann hinzurichten, der einmal ganz Louisiana und Ost-Texas terrorisiert hatte. Der verurteilte Massenmörder John George Haig, Alteingesessenen bekannt als «Dracula», verzichtete auf letzte Worte, als er gestern um elf Uhr fünfundvierzig durch den schmalen Betonkorridor in den Vollstreckungsraum geführt wurde.
Haig wurden die Sterbesakramente erteilt, um elf Uhr fünfundfünfzig schnallte man ihn auf den Stuhl. Als der große Zeiger der Normaluhr auf die Zwölf sprang, schossen zehntausend Volt durch Haigs Körper – und setzten so zwei epochalen Kapiteln von Louisianas lebendiger Geschichte ein Ende. Erstens der Benutzung des elektrischen Stuhls bei staatlich angeordneten Hinrichtungen – kürzlich durch eine Verfassungsänderung abgeschafft, die Ende nächsten Monats in Kraft treten sollte. Zweitens Haig selbst.
Lebenslauf eines Killers
Als Sohn eines Priesters der Pfingstgemeinde wurde Haig 1935 in Oxford, Mississippi, geboren und wuchs in einer Welt auf, in der Feuer und Schwefel des Alten Testaments ständig gegenwärtig waren. Laut amtlichen Unterlagen brachte es Haig nicht weiter als bis zur dritten Klasse, danach riss er von zu Hause aus. Die nächsten zehn Jahre verbrachte er damit, von Stadt zu Stadt zu ziehen, zu betteln und zu hausieren. Es besteht die Möglichkeit, dass Haig geistig leicht zurückgeblieben war, obwohl dies offiziell nie diagnostiziert wurde.
Psychologen weisen darauf hin, dass bei einem Menschen, der zum Mörder wird, die Weichen für diese Entwicklung schon früh gestellt werden. Auch bei John George Haig deutete schon in kindlichem Alter alles auf eine von Mordlust geprägte Verhaltensstruktur hin. Freunde und Verwandte berichteten von Tierquälereien, kleineren Delikten und Brandstiftungen. Aber zur ersten dokumentierten öffentlichen Äußerung von Haigs abartigem und gewalttätigem Verhalten kam es 1959 bei einer im Süden populären Wanderausstellung.
In jenem Sommer hatte eine Show mit Namen «Das Panoptikum wissenschaftlicher Absonderlichkeiten» einen riesigen Zuschauerandrang. Die Hauptattraktion war ein echter mumifizierter Mensch, den man für einen über zweitausend Jahre alten Bewohner hielt, eine Leihgabe der Tulane University, die im Jahr zuvor die Ausgrabung aus einem Sumpf bei Poverty Point vorgenommen hatte.
Augenzeugen berichteten, sie hätten gesehen, wie Haig sich in der Nähe der Ausstellungsvitrine, in der sich die Mumie befand, «sonderbar verhalten» habe. Kurz danach habe er mit bloßen Händen das Glas zerbrochen und versucht, sich mit dem Fundstück davonzumachen. Männer vom Sicherheitsdienst griffen ein und retteten die Mumie. Der vierundzwanzigjährige Haig wurde in Gewahrsam genommen und drei Monate lang ins Gefängnis gesperrt.
Schreckensherrschaft
Nach seiner Entlassung schien Haig irgendwo in einem weit abgelegenen Gebiet verschwunden zu sein. Die nächsten zehn Jahre tauchte er nicht in offiziellen Unterlagen auf, aber Kriminologen haben einen Zeitablauf rekonstruiert, in dem sich eine Spirale des Wahnsinns und der Gewalt immer schneller drehte. Ungeklärte Mordfälle häuften sich in Landgemeinden und machten die Ermittler ratlos.
Offenbar aufs Geratewohl ausgewählte Opfer wurden in seltsamen Stellungen und mit zerfetzten Hälsen aufgefunden, als seien sie von einem wilden Tier angefallen worden. Spuren von menschlichem Speichel wurden in einigen dieser Bisswunden gefunden, ebenso wie Zahnabdrücke. Es zirkulierten Gerüchte, der Killer sei eine Art Kannibale oder Vampir, der das Blut seiner Opfer trank.
Als Haig 1967 schließlich gefasst wurde – mit Hilfe von Fingerabdrücken in der Toilette einer Tankstelle –, war die Anzahl von ungeklärten Morden, deren man Haig verdächtigte, auf vierunddreißig gestiegen. Im Verlauf der nächsten achtzehn Monate wurde Haig von einer Reihe Experten ausführlich verhört. Die Ergebnisse zeichnen das Bild eines abartigen und blutdürstigen Irren mit undurchschaubaren Motiven.
Endgültige Gerechtigkeit
Während seines Prozesses enthüllte Haig einiges von seiner perversen psychischen Disposition, die zu seiner mörderischen Vorgehensweise geführt hatte. Er glaubte, mit übernatürlichen Kräften ausgestattet zu sein, die Gott ihm bei seiner Geburt verliehen hatte. Außerdem war er davon überzeugt, dass ihm seine wahre Berufung am 13. April 1959 offenbart worden war – an dem Tag, als er zum ersten Mal die mumifizierte Leiche zu Gesicht bekam.
Im Verlauf der
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