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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Gesicht. «Ich nehme an, Father», erwiderte er schließlich, «der Grund dafür ist das gute altmodische Ego. In einem Raum voller Archäologen hat die Aussicht auf einen wissenschaftlichen Leitartikel in einer angesehenen Zeitschrift ungefähr dieselbe Wirkung, als würden Sie mit einem rohen Fleischbrocken vor einem Rudel wilder Hunde wedeln.»
    Ein wissendes Lächeln wanderte von Professorengesicht zu Professorengesicht, und sogar Maura fiel es schwer, ein Grinsen zu unterdrücken.
    Einen Augenblick lang herrschte Stille am Tisch. Grove saß vor seinem Teller mit kaltem Rührei und war bemüht, aus dem Priester schlau zu werden, ihn einzuschätzen und herauszubekommen, ob er nicht vielleicht geistig verwirrt war. Die anderen blickten rücksichtsvoll auf ihren Schoß hinunter oder schlürften wie unbeteiligt ihren Kaffee und stocherten in ihrem Frühstück, als wollten sie den Father nicht mehr als nötig aufregen. Das Restaurant mit seinen runden Tischen in der Mitte eines Lichthofs füllte sich bereits mit Frühstücksgästen. Das Bedienungspersonal wuselte umher. Cappuccino-Maschinen zischten und stotterten. Bestecke klapperten. Grove bemerkte, dass einige der anderen Gäste ab und zu in ihre Richtung schauten. Er konnte sich ausmalen, wie die Exzentriker an diesem Tisch auf Uneingeweihte wirkten mussten.
    Bisher hatte Grove mehrere Dinge herausgefunden. Erstens war das Phänomen, dass Mordopfer aus alten Zeiten vergleichbare Symptome aufwiesen, augenscheinlich für einen großen Teil der Welt nichts Geheimnisvolles. Fraktionen von Historikern und Wissenschaftlern hingen verschiedenen Theorien an, und fast alle waren, wie auch Okuda, zu dem Schluss gekommen, dass die Tötungen auf einem Ritual basierten. Zweitens stimmten die meisten Experten mit Okuda darin überein, dass die Opfer wahrscheinlich Schamanen oder Heiler gewesen waren. Sie trugen jeder seine eigene Version des «Medizinbeutels» bei sich, wie er auch bei dem Eismann vom Mount Cairn gefunden worden war. Was jedoch eine so heftige Debatte am Frühstückstisch ausgelöst hatte, war Father Carrigans Behauptung, dass der Entdeckung jeder Mumie böse Ereignisse folgten, dass bei jeder Ausgrabung etwas Metaphysisches freigesetzt wurde.
    Professor De Lourde tupfte die Mundwinkel mit einer Stoffserviette ab. «Darf ich den geschätzten Father fragen, womit genau er während seines Aufenthalts im Vatikan beschäftigt war?»
    Der alte Mann schürzte die leberfarbenen Lippen, hob mit zitternden Händen seine Tasse und schlürfte den Tee übervorsichtig. Sein faltiges Gesicht war in der Hitze der Diskussion bleich geworden. Hektische Flecken breiteten sich auf seinen Wangen aus. «Ich war ein Bürokrat, ein Komiteemitglied», erwiderte er schließlich. «Aber Sie würden das Komitee nicht kennen, auch wenn ich Ihnen den Namen verriete.»
    «Stellen Sie mich auf die Probe, Father.»
    Graue Augen blitzten. «Consilium de miraculum – sehen Sie? Viel dürfte der Name keinem von Ihnen sagen.»
    Professor Endecott, die sich auf einem kleinen Schreibblock mit Spiralbindung Notizen gemacht hatte, blickte über den Rand ihrer Lesebrille hinweg und ergriff das Wort.
    «Darf ich fragen, woher Sie die Gewissheit nehmen, dass keiner von uns Kenntnis von dieser Gruppe hat?»
    Der alte Mann blickte sie missbilligend an. «Haben Sie je von dem Komitee gehört… Professor…?»
    «Endecott. Edith Endecott. In der Tat nicht. Ich habe noch nie davon gehört.»
    «Das liegt daran, dass dieses Komitee nie existiert hat.»
    «Wie bitte?»
    Der Priester atmete mühevoll und gequält, als müsse er unendlich viel Kraft aufbringen, um sich zu erklären. «Das Komitee existierte nicht, weil es geheim war, aber letztlich war ja alles unter dem Banner des Vatikans geheim. Und so war dies ein Geheimnis, gehüllt in Geheimnisse.»
    Grove unterbrach. «Mein Latein ist nicht besonders, aber es hört sich an wie – ‹Komitee für Wunder›?»
    Der Priester nickte. «Es war eine Gruppe aus Angehörigen des Klerus, Anthropologen, Gelehrten und Altertumsforschern – allesamt der Aufgabe verschrieben, Wunder zu untersuchen und ihre Echtheit zu beweisen.»
    Am Tisch wurden vielsagende Blicke ausgetauscht. Maura County wirkte nicht gerade erheitert. Sie saß vor einer halb geleerten Schüssel Müsli und sah Grove über den Tisch hinweg an. Der versuchte, den Gesichtsausdruck der Journalistin zu interpretieren, der eine seltsame Mischung aus Faszination und Abscheu ahnen ließ, als ob ihr

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