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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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für einen finalen Kopfschuss zu postieren, aber an jenem Tag hatten Polizisten wie FBI-Leute gegen jede Menge widriger Umstände zu kämpfen.
    Der Regen – der alles mit einer hauchdünnen Schicht Vaseline zu überziehen schien – erwies sich als das geringste ihrer Probleme. Die größte Sorge machte ihnen die Zuschauermenge. Die Gaffer rannten beim ersten Anzeichen einer drohenden Schießerei in alle Richtungen, sodass es einem durchschnittlichen Schützen unmöglich war, ausschließlich den Verbrecher ins Visier zu nehmen. Zu viele Leute stolperten im sintflutartigen Regen hin und her, während ihre Schirme vom Wind erfasst und fortgerissen wurden und trudelnd über den Kies und die Straße, sogar bis hinauf aufs Moteldach flogen.
    Die Blitzschläge, die wie silbergleißende Supernovas sporadisch vom Himmel zuckten, machten die Situation nur noch schlimmer, denn sie verlangsamten jede Bewegung durch ihren Zeitlupeneffekt – was sie auch in genau jenem Moment taten, als Grove seinen Revolver auf Ackerman richtete und wie ein Löwendompteur, der ein widerspenstiges Tier schilt, mit fester Stentorstimme gegen den Regen rief. «LASS SIE GEHEN, ACKERMAN, ES GIBT KEINEN AUSWEG MEHR, MACH ES NICHT NOCH SCHLIMMER! LASS SIE LOS!!»
    Hektisch, aber auch unbeirrbar zog sich Ackerman in Richtung des gelben Absperrbands zurück, das am westlichen Rand des Grundstücks flatterte. Die Frau mit dem Feldstecher zerrte er wie eine Jagdbeute mit sich, ohne sich um ihr Zappeln und Jammern zu scheren. Wie ein Roboter, der den Abstand zwischen Grove, den anderen bewaffneten Gesetzeshütern und dem leeren Wald jenseits der Grundstücksgrenze kalkulierte, blickte er immer wieder zurück. Es sah so aus, als hielte er einen kurzen Speer oder einen Jagdpfeil, dessen schlankes Ende im Regen vibrierte, an die Halsschlagader der Frau.
    Ein weiterer Lichtblitz entlud sich über dem Schauplatz, und Grove musste die Augen zusammenkneifen, um das Korn seiner Waffe weiterhin auf Ackermans Kapuze richten zu können. Er sah, dass Zorn rechts von ihm wieder auf den Beinen war und Schießhaltung eingenommen hatte. Er spürte die Zeit verstreichen, während sich Scharfschützen hinter ihm in Stellung brachten und ihre Gewehre luden.
    Man hörte, wie die Munition mit dumpfem Klacken in die Kammern geführt wurde, überall waren scharrende Schritte und der Lärm aufgeregter Stimmen zu vernehmen. Aber die Leute formierten sich viel zu langsam, Ackerman hatte bereits die halbe Entfernung zum Buschwerk hinter sich gebracht, das den westlichen Rand des Kiesplatzes begrenzte.
    «TU’S NICHT, ACKERMAN!! TU’S NICHT! TU’S NICHT! TU ES NICHT!!»
    Groves Finger, feucht vor Lampenfieber, krümmte sich um den Abzug, und im Zeitraum einer einzigen Sekunde sah er die denkbar schlimmste Situation wahr werden, wie in einem Buch mit erschreckenden Aufklappbildern sich entfalten und ihre grelle Unausweichlichkeit offenbaren. Der Rand, an dem der Kiesplatz ohne Hecke, Begrenzung oder Einfassung endete, ging über in eine von Flockenblumen bewachsene und von Unrat übersäte Anhöhe und war jetzt zudem düster überschattet. Dort bot sich ein perfekter Fluchtweg in das dichte Birkengehölz, das gleich jenseits des Motelgrundstücks aufragte.
    Bevor Grove Gelegenheit hatte, in die Situation einzugreifen, geschahen im explodierenden Blitzgewitter mehrere Dinge so gut wie gleichzeitig.
    Der Killer beging den taktischen Fehler, lange genug über die Schulter hinweg auf den Wald zu schauen, sodass einer der Scharfschützen Zeit hatte, auf seine Kapuze zu schießen. Grove wollte gerade einen Warnschuss abgeben, als er die Detonation hörte, und es musste ein großes Kaliber gewesen sein, denn der Knall war so donnernd laut, dass einem die Zähne klapperten. Der Schall traf auf die entfernte Hügelkette und hallte von dort wider. Groves Waffe entlud sich so plötzlich, als sei sie von mitschwingenden Vibrationen ausgelöst worden, und schickte eine Kugel in einem silbrigen Lichtstreifen durch die Luft. Alle hechteten auf den nassen Boden. Der Killer taumelte dem dunklen Wald entgegen, wobei er seiner Geisel mit einer entschlossenen und ruckartigen Bewegung etwas anzutun schien.
    Grove fand sich auf dem Boden wieder und konnte kaum sehen, wie die Frau mit dem Fernglas zusammenbrach und in zehn Meter Entfernung zu Boden sackte. Ihr Hals war verletzt, und aus der Wunde sprudelte Blut, das im trügerischen Licht des Unwetters so schwarz aussah wie chinesische Tusche. Die Frau

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