Die Eismumie
Augenmerk blieb trotz allem auf die geisterhaften Umrisse des Killers konzentriert, der sich vor ihm durchs Unterholz kämpfte.
Der Pfad endete, und der Wald schien Zorn wie ein schwarzer Tunnel zu umschließen. Regen ergoss sich über endlose Reihen von Zedern, Birken und Schierlingstannen. Blitze flackerten, und am Rand von Zorns Gesichtsfeld schimmerte die Birkenrinde im Licht wie gebleichte Knochen auf.
Ackerman entkam. Zorn sah, wie dessen Silhouette langsam im tiefen Gehölz verschwand. Der Texaner wollte sein Tempo beschleunigen, aber das war kaum mehr möglich. Er sprang über glitschige Steine und verrottetes Holz, quetschte sich zwischen Zweigen hindurch, die den Weg verengten, und geriet tiefer und tiefer in die Dunkelheit der Wälder um Clark County, gepeinigt von stahlharten Ranken, die ihm immer wieder entgegenschlugen.
Nur ein Schuss. Mehr brauchte er nicht. Einen sauberen Schuss, mit dem er diesen kranken Hundesohn umlegen und den Steuerzahlern die Kosten weiterer Ermittlerarbeit sowie Ausgaben für Anwälte und Berufungsverfahren ersparen konnte. Das ging ihm nicht aus dem Sinn, als er durch den Wald hastete, vorsichtig darauf bedacht, weder auf den glatten Baumwurzeln auszurutschen, die aus dem Boden ragten, noch auf teilweise vom Erdboden verdeckten Granitflächen. In der Tasche seines Regenmantels schepperten zwei zusätzliche Magazine mit jeweils neun Schuss, was bedeutete, dass er insgesamt noch siebenundzwanzig Schuss hatte – einschließlich des Clips, der sich bereits in seiner Desert Eagle befand. Das müsste reichen. Er würde es auf einen Kopfschuss anlegen. Wenn ihm das gelänge, hätte er sämtliche Rechnungen beglichen und seinen früheren Fehler wieder gutgemacht. Tom Geisel würde stolz auf ihn sein. Und Zorns Vater, Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg, daheim in Tennessee nicht weniger. Sogar Grove würde zugeben müssen, dass Zorn ein Kollege war, auf dessen Einsatzfähigkeit man sich verlassen konnte.
Eine Zeitlang dachte er darüber nach und brachte fast eine ganze Meile hinter sich, bevor er allmählich langsamer wurde. Er ging noch ein paar Schritte und blieb dann stehen.
Er war allein.
Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er stand auf einer dunklen kleinen Lichtung, die von einem niedrig hängenden Baldachin aus Fichtenzweigen überdeckt war und gesäumt von einer Mauer aus wild wachsendem Unterholz, so dicht, als hätte es jemand aus Kletterpflanzen, Ranken und Zweigen geknüpft. Zorns Herz pochte lauter. Er war völlig durchnässt. Seine Jacke klebte ihm auf dem Rücken, seine Füße schwammen in den Stiefeln. Er konnte Grove nicht mehr hören. Auch die Stimmen der anderen Polizisten und Ermittler waren verhallt. Zu hören waren nur noch der Donner, der in der Ferne grollte, und das Rauschen des Regens, der unablässig auf die Nadeln der Tamaracklärchen fiel.
Er wischte sich die Tropfen vom kahlen Schädel und aus den Wimpern, blickte zurück und blinzelte hinunter zum Flusstal, wo er hergekommen war. Er stellte fest, dass er über den allmählich ansteigenden Hang zu einem dicht bewaldeten Kamm oberhalb des Columbia River gelangt war. Die Flusswindungen, grau wie geschmolzenes Blei und mehr als eine Meile entfernt, waren durch Lücken zwischen den Gerbersträuchern zu erkennen. Zorn warf einen Blick auf seine Waffe, schob den Schlitten zurück und überprüfte die Kammer, um sicherzugehen, dass sie schussbereit war.
Er machte sich daran, einen zerklüfteten Steilhang aus Kalkstein zu erklimmen. Seine Stiefel rutschten auf dem Moos weg, und er wäre fast abgestürzt, wenn er nicht ein paar über den Fels hängende Zweige ergriffen hätte. Schließlich schaffte er es doch auf das schroffe Gipfelplateau, das Ausblick über den Fluss bot.
Dort oben peitschte der Regen noch ungezügelter, und Zorn musste seinen Kragen aufstellen und die Augen zusammenkneifen, um sich auf der verlassenen Lichtung umzusehen. Sie hatte die Ausmaße eines Squashplatzes, und ihre Oberfläche glich einer Buckelpiste aus Granit und versteinerten Holzstücken. Die Felsbrocken sahen aus wie winzige Grabsteine, die aus verbrannter Erde ragten, und glitzerten im Regen. Das Blattwerk und die Bäume ringsum bildeten eine natürliche Barriere, hinter der verwehende Schatten tanzten und schwankten.
Irgendwo in der Nähe knackte ein Zweig.
Zorns Nervenenden vibrierten in Panik. Er duckte sich sofort und hielt unwillkürlich seine Desert Eagle mit beiden Händen. Jeder Muskel in
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