Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
Vom Netzwerk:
wurde von einem Krampf geschüttelt, dann ließ der körperliche Schock des bevorstehenden Todes sie erstarren. Ihre Hand umklammerte noch immer das alberne Fernglas, aus ihrer Halsschlagader tropfte das Blut in den Matsch. Ackerman war jetzt nur ein undeutlicher Fleck hinter dem Opfer, als zig Feuerwaffen – vielleicht sogar Hunderte, zumindest klang es wie Hunderte – plötzlich überall auf der anderen Seite des Parkplatzes abgefeuert wurden.
    Das Mündungsfeuer und der Lärm waren stärker als das Unwetter. Grove kauerte sich zusammen und legte die Hände schützend über den Kopf. Zorn ließ sich in weniger als drei Meter Entfernung seitlich von Grove zu Boden fallen. Aus dem Augenwinkel sah Grove das Feuerwerk über dem Schlachtfeld – zahllose gelbe Lichtreflexe, die im Dunkeln aufflammten wie kleine Phosphorbomben. Birken brannten, Funken sprühten über die benachbarten Waldstücke. Der Lärm hatte für Groves Ohren etwas grandios Hässliches – nicht zu vergleichen mit der Feuerwerksknallerei in Cowboy-und-Indianer-Filmen. Dieser Lärm war ein akustisches Trommelfeuer, schmutzig und metallisch.
    Ackerman war verschwunden.
    Es wurde nicht mehr geschossen.
     
     
    «WIR BRAUCHEN HIER ÄRZTLICHE HILFE! JEMAND SOLL EINEN ARZT HERSCHICKEN, SOFORT! SOFORT!!» Grove schrie aus Leibeskräften, konnte sich aber selbst kaum hören, so laut hallten die Schüsse ihm noch in den Ohren. Er schaffte es, auf die Beine zu kommen und sich zur Fernglasfrau zu schleppen, die blutüberströmt und zuckend im Schmutz lag, das leichenblasse Gesicht in Todesqual verzerrt, die Augen aufgerissen.
    Grove ließ seinen Revolver fallen und presste die Hand auf den Hals der Frau, um die Blutung zu stillen. Er spürte ihren Herzschlag flattern wie einen verwundeten Vogel, und er wusste, er wusste, dass die Frau im Sterben lag, dass ihr nur noch Augenblicke blieben. Er schob seine bloßen Finger in ihren Rachen, befreite die Luftröhre von verklumptem Blut und versuchte trotz des Trubels und Stimmengewirrs um sich herum eine aussichtslose Wiederbelebung. Terry Zorn raste an Grove vorbei, setzte mit langen Schritten über den Weg und sprintete hinter Ackerman her in den Wald. «ZORN, VERDAMMT, WARTEN SIE!», brüllte Grove durch den Regen. «ICH HABE IHNEN DOCH GESAGT, WIR SIND KEINE TAKTISCHEN EINSATZKRÄFTE!!»
    Die nächsten paar Sekunden waren entscheidend für Grove. Er sah hinunter auf das blutbespritzte Gesicht der korpulenten Frau und bemerkte, dass sich ihre Lippen bewegten und ihre Augen blinzelten. Aber sie gab keinen Ton von sich bis auf das schwache Schnalzen, das tief aus ihrer Kehle kam. Ein giftiger Cocktail aus Wut und Trauer drehte Grove den Magen um, denn er sah dieser sterbenden Frau in die Augen, und was er sah, erregte sein Mitleid. Er sah das Leben einer hart arbeitenden Mutter, die ihre alternden Augen übertrieben geschminkt hatte. Dann riss ihn jemand in einer weißen Jacke von der Frau weg, und Grove torkelte rückwärts an den Rand des Kiesbetts, rollte auf die Seite und suchte nach seiner Waffe.
    Terry Zorns Cowboyhut lag keine zehn Zentimeter entfernt auf dem Boden, platt getreten von einem schmutzigen Fußabdruck, und aus irgendeinem Grund löste der Anblick dieses Huts bei Grove einen Impuls aus, der ihn aufstehen und in Richtung Waldrand eilen ließ. Wie ein heißes Eisen lag ihm der Revolver jetzt in der Hand, und die hektischen Stimmen der anderen Ermittler, die auf ihn zukamen, hörte er kaum.
    Grove ignorierte die Warnrufe und stürzte sich Hals über Kopf in den Wald.
     
     
    Wie einen Rammbock hielt Zorn die Automatik vor sich, als er auf dem schmalen morastigen Pfad zwischen Fichten und Farnen voranstürmte. Die regenschwere Dunkelheit umfing ihn, und er konnte die schemenhafte Gestalt Ackermans kaum sehen – ahnen war ein besseres Wort –, obwohl der nur ungefähr zwanzig Meter vor ihm war und die bewaldeten Berghänge hinauffloh. Hinten unter seinem Regenmantel schien irgendetwas auf- und abzuhüpfen.
    Stimmen drangen durch das Unwetter. Zorn ignorierte sie und umfasste seine Waffe fest mit beiden nassen Händen, in jenem klassischen Griff, der den Anwärtern schon am ersten Tag auf dem Schießstand beigebracht wird. Er sprang über einen umgestürzten Baum und wäre beinahe gestrauchelt, aber irgendwie hielt er sein Gleichgewicht. Sein kahler Kopf fror und kribbelte vor Adrenalin. Seine Augen brannten. Aber er bahnte sich durch immer dichter werdendes Blattwerk den Weg voran, und sein

Weitere Kostenlose Bücher