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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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identifizieren war. Dafür gab es in keinem Einsatzhandbuch oder Ausbildungsplan ein Beispiel.
     
     
    Gellend brüllte der neue Richard in der Dunkelheit der Höhle.
    Er hatte die letzte Spur des alten Richard aus sich vertrieben, als hätte er einen parasitären Bazillus ausgeschissen, und als er jetzt die Waffe hob und sie auf den Mann richtete, der auf dem Höhlenboden lag, brach sein Siegesschrei in die Dunkelheit wie von einem Höllenchor angestimmt.
    Der erste Schuss klang herrlich und erleuchtete die Höhle mit einem gleißend gelben Feuerblitz.
    Das Hohlspitzgeschoss traf Grove in die Hüfte, stanzte fünf Zentimeter Muskeln aus, durchschlug sauber das Fleisch seiner Hinterbacken und grub sich schließlich in den vermodernden Stein der Höhlenwand hinter ihm.
    Grove stöhnte auf und wurde in einer Gewitterwolke aus Schießpulver und Staub zur Seite geworfen, sodass er mit dem Gesicht nach unten in die Ecke prallte. Der Schuss hatte genau die Art Verwundung hervorgerufen, die der neue Richard beabsichtigt hatte – einen Auftakt zu dem Ritual, das er aus seinen Träumen kannte.
    «BRING’S SCHON ZU ENDE!», stöhnte Grove auf dem Boden. Sein Gesicht war an den kalten Stein gepresst, und wenn er unter Qualen ausatmete, pufften in der Dunkelheit winzige Staubwolken auf.
    Der Killer warf den Revolver auf den Boden, und die verchromte Waffe schepperte über das Felsgestein. Er hob die Hand und zog mit einer knappen Bewegung seines rechten Arms einen Pfeil aus dem Köcher. Den Schaft richtete er gen Himmel wie einen Blitzableiter.
    «Laahhh – nahh – hammmmaahhhhh – nam – silig – akaaaaahhh – sssu – siiieh – sahh – mahhhhh!!»
    Der schaurig misstönende Gesang, den der neue Richard anstimmte, bestand aus gejaulten Wörtern, deren Sinn sich nicht mitteilte, aus geheimen Phrasen, die er in seinen Albträumen gelernt hatte. Seine Stimme hob sich und heulte wie die eines irren Kantors in einer Tonlage, die Ackermans Stimmbänder bis zum Reißen strapazierte.
    Grove lag auf dem Boden, im Dunkeln, verblutete, das Gesicht im Schmutz. Er wusste, was als Nächstes kam, wusste es einfach. Die Erkenntnis nahm in seinem Hirn Konturen an wie ein Foto in der Entwicklerschale. Er dachte an Hannah, an ihr gemeinsames Leben, ihre Zukunftspläne und Träume, und dann, ganz kurz, dachte er auch an Maura County und alles, was noch hätte werden können. Dann schloss er die Augen –
    – weil sich eine Hand fest wie eine eiserne Klammer um seinen rechten Arm schloss. Der Druck war so enorm, als würde ein Roboter ihn am Unterarm festhalten. Dann ein kurzer und knapper Ruck… und Groves rechter Arm befand sich in der wohl bekannten Stellung.
    Als Nächstes spürte Grove, wie die kalte Spitze des Jagdpfeils ihn im Nacken liebkoste.
     
     
    Karras sah als Erster den Granitrachen der Höhle und deren matte, sandfarbene Vorderseite im Dschungel aus Blattwerk, verborgen vom strömenden Regen und einem Hain von Hemlocktannen. Er zögerte kurz, duckte sich hinter einen breiten Fichtenstamm, wischte sich mit dem Unterarm übers nasse Gesicht, begriff, dass die Heultöne aus der Höhle gekommen sein mussten, und schnalzte mit der Zunge zu Simms hinüber, der in dreißig Meter Entfernung das Unterholz im Entengang durchquerte. Die beiden tauschten hektische Handzeichen aus. Dann rückte Karras auf die Höhle vor, Simms dicht hinter sich, sein Ingram Mio Sturmgewehr mit eingerastetem 30-Schuss-Magazin zum Angriff bereit. Die beiden Officers warfen sich – wie im Training so oft geübt – mit einem letzten Satz nach vorn und pressten sich jeweils links und rechts des Eingangs an die Felswand. Weitere Handzeichen. Tiefes Durchatmen. Angespannte Muskeln. Feuchte Finger am Abzug. Noch fehlten ihnen wichtige Informationen, und ein Wirbel von Fragen schoss ihnen während dieses kurzen Augenblicks durch den Kopf: Was für eine Höhle mochte es sein, in die sie jetzt eindringen wollten? Und vielleicht wichtiger noch: War es eine jener verlassenen alten Zinkminen, von denen Karras gelesen hatte – einer von diesen schier endlosen Schächten, die bis zur anderen Seite des Plateaus durch den Berg liefen?
    Grove öffnete in der Dunkelheit die Augen. War er am Leben? Ich lebe noch immer? Eine Lähmung hatte die linke Seite seines Körpers, der in die verräterische Haltung der Sun-City-Opfer verrenkt war, erstarren lassen – ein grausamer Scherz, den sich ein grausamer Gott erlaubt hatte. Er sah alles nur verschwommen, aber seine

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