Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
Vom Netzwerk:
erlosch – erkannte Grove die schimmernde Metallspitze eines Jagdpfeils, die aus dem linken Auge des Tieres ragte. Der Bär sank zusammen. Das Tier dünstete Ekel erregende Luft aus und hielt seine gewaltigen Kiefer noch immer zitternd aufgerissen. Dann sackte es zusammen und lastete als lebloser Ballast auf Groves Körper.
    Auf einmal durchfuhr Grove ein schneidender Schmerz, und er bekam keine Luft. Seine Hände waren taub und von Wunden aufgerissen, und an seinem linken Bein klaffte ein tiefer Riss. Er wand sich unter dem Bären hervor und rollte nach Atem ringend über den modrig-glitschigen Boden. Er prallte gegen eine Wand und sog einen Moment lang gierig die Luft ein. Gleichzeitig kreisten seine panischen Gedanken nur um eins: Der Revolver! – Der Revolver! – Hol dir den Revolver, du Idiot! – DER REVOLVER!
    Da hörte er ein neues Geräusch – ein leises, stoßweises Atmen –, und Grove war auf der Stelle klar, dass dieser neue Laut nicht von einem Tier des Waldes stammte.
    Er stammte von einem Menschen.
    Von einem Mann, der jetzt den Eingang zur Höhle verdunkelte und dessen Umrisse im verglimmenden Licht der Blitze zu erkennen waren.

Kapitel 17
Grausamer Gott
     
     
     
    Grove versuchte sich zu bewegen. Sein Körper fühlte sich träge an, wegen des Blutverlusts und der Verletzungen wie überflutet von kaltem Beton, und empfand jede Bewegung als Qual.
    Die dunkle Gestalt ging auf den silbrig glänzenden Gegenstand zu, der in ungefähr drei Meter Entfernung auf dem felsigen Boden lag: der .357er Magnum-Revolver.
    «Ackerman… ACKERMAN!?»
    Das Schattenwesen bewegte sich langsam, aber sicher auf die Waffe zu.
    Es war zu dunkel, um den Mann deutlich zu erkennen, aber es fiel auf, dass er sich auf seltsame Weise bewegte – steif, ruckartig, als stünden seine Sehnen unter Strom. Die leisen Laute von seinen Lippen, die so klangen, als würde er hyperventilieren, verschmolzen zu einer Beschwörungsformel oder einer Litanei in irgendeiner nicht erkennbaren Fremdsprache. Vergebens versuchte Grove, ein Wort zu verstehen.
    «Ackerman, hören Sie mir zu, okay, hören Sie jetzt zu, nur einen Moment lang, konzentrieren Sie sich, okay, konzentrieren Sie sich und hören Sie zu hören Sie zu hören Sie zu –!»
    Grove versuchte, sich in den rückwärtigen Bereich der Höhle zu verziehen, versuchte, Zeit zu schinden, aber sein Körper fühlte sich an wie ein blutbeschmierter Eisblock. Seine Beine, aufgerissen von den Bärenklauen, schienen vor Schmerzen aufzuschreien. An seinen Händen klebte Blut. Er spürte den Pulsschlag am Hals, und langsam verschwamm ihm alles vor Augen. Ein hypovolämischer Schock kann schnell zu Lähmungserscheinungen, Orientierungslosigkeit und sogar Halluzinationen führen.
    Die Gestalt war nicht mehr als drei Meter weg und kniete neben dem Revolver – nur Zentimeter entfernt von dem massigen, dampfenden Kadaver des toten Bären. Aus dieser Nähe konnte Grove den Köcher mit Pfeilen erkennen, den der Mann auf dem Rücken über seinem zerrissenen Nylonregenmantel trug. Er sah auch den baumelnden Jagdbogen und das Gesicht, das halb im Schatten lag, ein blasses, von Falten zerfurchtes Antlitz, in dem Zähne und Krähenfüße besonders auffielen. Der Kopf des Mannes wurde von Zuckungen geschüttelt. Kryptische Wörter sprudelten sehr schnell und sehr leise aus ihm hervor und hallten in der Dunkelheit wider: «Aaahhh – baal – sssahh – giii – jutu – jutu – ssssöh – huuuul – namm – nin – ssssahhh – »
    Grove wollte noch etwas sagen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er sah, dass Ackerman die Waffe aufhob. Groves Gedanken rasten: Ich werde nicht wegsehen, nein, das werde ich nicht, und ich werde vor dem Hundesohn auch nicht den Schwanz einziehen. Soll er mich doch umlegen, auf der Stelle, aber wegsehen werde ich niemals!
    Auf der anderen Seite der Höhle stand Ackerman auf. Seine Knie knackten. Er hob den Revolver und zielte auf Grove.
    Es blitzte wieder, und Ackerman warf den Kopf in siegestrunkener, animalischer Mordlust hoch, ganz so, wie Grove sich einen wilden Hund vorstellte, der seiner hemmungslosen Fressgier folgt. Ein Blitz erhellte die Höhle. Ackerman rutschte die Kapuze vom Kopf, und ganz kurz war das Gesicht des Killers zu erkennen – eine Ruinenlandschaft aus faltiger Lederhaut, in der die Augen wie glühendes Glas funkelten.
    Grove würgte an seinem eigenen Blut. Er weinte und brüllte gleichzeitig: «MACH DOCH SCHON! TU’S DOCH ENDLICH!!

Weitere Kostenlose Bücher