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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Sehkraft war ihm ohnehin in der Dunkelheit der Höhle kaum von Nutzen. Er spürte, dass hinter ihm etwas geschah, dass mit Ackerman etwas geschah. Das Geräusch stockenden Atmens drang wie ein kaum hörbares Echo an Groves klingelnde Ohren, und ein tiefdunkler Schatten schien am Rand seines Sichtfeldes zu zittern.
    Er versuchte, den Hals zu drehen, versuchte zu erkennen, was vor sich ging. Er kam sich vor wie auf das Deck eines untergehenden Schiffs genagelt, als würde die Schwerkraft der Schmerzen und des Blutverlusts ihn in schwarze Tiefen hinunterziehen. Er hörte hinter sich schlurfende Schritte. Ackerman rang keuchend nach Luft.
    Er rang nach Luft?
    Grove machte einen letzten Versuch, seinen Kopf anzuheben und weit genug zu drehen, um einen Blick auf den Killer werfen zu können. Glühend heißer Schmerz schoss an seiner Wirbelsäule hinunter. Die höllische Qual presste einen jaulenden Schrei aus seinen Lungen. Schließlich schaffte er es aber, einen flüchtigen Blick auf die Silhouette zu werfen, die über ihm aufragte, den Jagdbogen gespannt und den Pfeil immer noch aufgelegt.
    Ackerman war mitten in der Bewegung erstarrt. Und der Pfeil befand sich noch immer in bedrohlicher Wartestellung, nur Zentimeter von Groves Hals entfernt.
    Ein Zittern fuhr jäh durch Ackermans Rückgrat und richtete ihn kerzengerade auf, als habe man ihm eine Stahlrute durch sämtliche Wirbel gestoßen. Er bebte und zuckte. Seine Gesichtszüge entgleisten. Ein Auge blinzelte krampfhaft, seine Kiefer pressten sich aufeinander wie von einem Stromstoß getroffen. Im Delirium seiner Schmerzen fragte sich Grove, ob wohl Ackermans Kopf anfangen würde zu rotieren.
    Es war der allerletzte Gedanke, der sich in Groves Bewusstsein kristallisierte, bevor sich eine schwarze Membran über ihn breitete.
    Ackerman rang keuchend nach Luft, die Pfeilspitze schwenkte weg von Groves Hals. Das Keuchen vermischte sich mit einem Stöhnen, einem fast melodischen Klang, den Ackerman aus sich herauspresste, als er jetzt rückwärts taumelte. Eine seiner großen, verknöcherten Hände griff plötzlich nach seiner Brust – eine völlig unwillkürliche Bewegung.
    Auf dem kalten Steinboden und in der Dunkelheit war Groves letzte bewusste Wahrnehmung, bevor er in tiefe Ohnmacht fiel, Erleichterung, ja vielleicht sogar Enttäuschung. Ihm war eingefallen, was Helen Ackerman gesagt hatte, und im selben Moment wurde ihm klar, was hier passierte. Diese Erkenntnis brachte die beunruhigende Furcht mit sich, dass der Verlauf der Ereignisse durch nichts Mystischeres gelenkt wurde als durch den Zufall und die Launen des menschlichen Kreislaufs.
    Der Hundesohn hat einen Herzanfall.
    Als Karras und Simms durch die Dunkelheit der Höhle vorstießen, hatte Grove bereits das Bewusstsein verloren. Die beiden Lichtstrahlen der Halogenlampen durchbohrten die Schatten und landeten auf dem Profiler, der zehn Meter innerhalb des Tunnels an der feuchten Felswand in einer Blutlache zusammengesunken war. Der große Haufen aus schwarzem Fell und Knorpel, der mal ein Bär gewesen war, lag an der Wand gegenüber. Der neue Richard war längst in die finsteren Tiefen der Höhle geschlurft. Sein gefühlloses Bein hatte er hinter sich her gezogen wie einen verfaulten Holzklotz. Die beiden Männer steuerten nicht direkt auf Grove zu. Sie machten sich nicht einmal die Mühe zu untersuchen, ob der Profiler noch Lebenszeichen von sich gab. Die Bestimmungen verlangten, dass die Officers zuerst den Ort absicherten, was sich in einem so beengten Raum und ohne Tageslicht als problematisch darstellte. War der Bär tot? Offenbar ja. Hektische Handzeichen und eine genau festgelegte Choreographie schickten beide Männer auf eine Diagonale entlang der jeweiligen Wand, den Lauf ihrer Waffen gehoben, mögliche Ziele im Visier, Muskeln gespannt, Finger am Abzug. Die schmalen Strahlen ihrer Halogenlampen ließen den Schmutz in der Luft flimmern. Sie hielten inne und horchten, vernahmen aber kein hörbares Anzeichen dafür, dass ein Mann durch die unerforschten Schatten des Minenschachts trampelte. Mittlerweile hatte Ackerman die schmaleren Gänge in fünfzig Meter Entfernung erreicht – schleppte sich wie ein Monster auf eine Weise voran, die Michael Okuda an Karloffs Mumie erinnert hätte. Special Agent Simms gab sich endlich mit dem Gedanken zufrieden, dass der Kampf zu Ende war, der anscheinend noch vor wenigen Momenten stattgefunden haben musste – was sonst als ein Kampf hätte das grauenvolle Geheul

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